Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
08.06.1916
Wählen Sie aus:
Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
8.6.1916

Von gestern trage ich noch nach die vom Heeresgruppenkommando gemeldeten Berechnungen über die Stärke des Feindes in Bataillonen: Angriffsraum 233 - 271, Tiroler Westfront 27 - 25, Tiroler Ostfront 63 - 63, Zone Carnia 40 - 34, Isonzofront 250 - 220. Die erste Zahl bedeutet die sicheren Bataillone, von denen Gefangene gemacht wurden, die zweite das Maximum bei Einrechnung jener Truppe, über die Gefangenenaussagen vorliegen. -

Von Mittagsmeldungen ist das Wichtigste: Einnahme des Monte Meletta, der den ganzen befestigten Raum von Primolano beherrscht, und deutlich erkennbare gründliche Vorbereitung des Angriffes des XX.Korps. Auch mit den Armeereserven scheint besser disponiert zu werden. Von der 48. ITD sammelt sich die 11.GBrig. im untersten Terragnolotal. Von der 9. ITD gelangen bis morgen abends: Gros auf die Tonezzahochfläche, 1 Regt. auf jene von Vielgereuth, eines bleibt noch bei Rovereto, offenbar, bis dort die ganze 28.Lst.GBrig. eingetroffen ist.

Heute also ist Chef nach Berlin gefahren; abends dort Besprechungen mit Falkenhayn, der ihm zweifellos ordentlich zusetzen wird. Unsere so schön gehende Sache ist daher in großer Gefahr; denn es ist anzunehmen, dass Falkenhayn geradeaus auf die großen Fragen eingehen wird. Er könnte sagen, dass er bei Verdun nicht nachgeben kann, dass die russische Misere nicht durch seine Schuld entstanden ist, dass Conrad den Vertragspunkt, die russische Front zu halten, nicht erfüllt hat, dass wir in Italien genug erreichten u.s.w., u.s.w. Ich bin auf alles gefasst. Vorläufig kommt übrigens nur der Abtransport der 61.ITD in Frage, schon weil die Bahn nicht mehr leisten kann. Damit ist übrigens schon etwa eine Woche Zeit gewonnen, und in einer Woche haben beträchtliche deutsche Kräfte (es sollen 3 Divisionen anrollen) eingegriffen und alles in Ordnung gebracht. - Immerhin treffe ich für alle Fälle meine Vorbereitungen. Haberl hat bereits Sappeurmaterial geschoben; ich tue das Möglichste für rasche Heranziehung der ausgebildeten Marschformationen zur Auffüllung der Stände an der ganzen Südwestfront. Dabei geht es unten ganz famos weiter. das 3.Korps hat heute den M.Sisemol genommen! Auch hat unser Befehl von gestern gründlich gewirkt. Krauss hat in Trient offenbar die beiden Armeekommandos ordentlich eingefangen. Nach mehreren sehr beruhigenden Mitteilungen Salis kommt heute abends ein telegraphischer Bericht, der beweist, dass erst durch diese Besprechungen der volle Einklang zwischen den beiden Armeen erzielt wurde und dass die notwendige Heranziehung einer ausreichenden Artillerie auch noch Zeit braucht. Demgemäß wird auch der Angriff der 11. Armee erst am 12. beginnen. - Abends noch, das heißt um 12 Uhr nachts, wird die Abgabe der 61. ITD auf den russischen Kriegsschauplatz verfügt; wohl auf Grund eines Telegrammes des Chefs aus Berlin. Wie immer, im Gasdampf. Nachts müssen die Befehle hinausgehen, die die Panik in alle Eisenbahnbehörden der FTL 7, 8 und 9 tragen; denn von der Division ist bisher nur die Infanterie eingetroffen, die Artillerie und die Trains rollen teils, teils sind sie noch im Bereich der 5. Armee transportbereit. Der Ausfertigung an die Heeresgruppe füge ich bei, dass die dortigen Operationen durch diese Abgabe nicht berührt sind. Wenn es bei dieser einen Division bleibt, so ist dies auch wirklich der Fall, obwohl ich sofort trachten werde, bei der 5. und sogar auch der 10. Armee, neue, wenn auch kleine Reserven zu schaffen. - Meine Situation hier ist jetzt wieder recht ungemütlich. Kageneck ruft mich vormittags beiseite, jammerte über das Geschehen, fragte nach den Ursachen und erklärte mit nicht misszuverstehender Deutlichkeit, dass diese eigentlich in den auf einem ganz unrichtigen Kalkül aufgebauten Operationen gegen Italien zu suchen seien. Alle Leute „oben“, besonders Buzek hätten ihn und Fleck versichert, dass sie das immer gesagt hätten. Ich entgegne ganz ruhig darauf, dass die Ursachen nicht in den Operationen gegen Italien, sondern in unserem Winterschlaf, in den Weibern, in der Jagd, im Tennisspiel u.s.w. zu suchen sind. Soll diese Meute, in welcher besonders der ganz mit unserem Feind fühlende Don Appollonio vorankläfft, einmal den Mut haben, einem ihre Meinung ins Gesicht zu sagen! - Hätten sie ihre Beurteilung der Lage am russischen Kriegsschauplatz in Referaten niedergelegt! So aber ist es gerade eine Frivolität, die Schuld auf eine Sache zu schieben, an der sie nur das Gelingen im geheimen ärgert. Bezeichnend für den Ernst der Auffassungen ist es übrigens, dass heute, in dieser Lage, wie gewöhnlich eine „Korruptionalis“ (wie dies leichtfertig genannt wird), das heißt eine Autofahrt mit Weibern unternommen wird, und das so zwischen 5 und 8 Uhr, wo doch wahrlich genug Arbeit wäre. - Ich schreibe dies nicht, um jemals einen Gebrauch davon zu machen, sondern nur, um dieses klare Bild der hiesigen Verhältnisse, das später so leicht vergessen wird, festzuhalten. Das Bedauerliche ist, dass dadurch das Oberkommando als Ganzes nicht nur den Deutschen (das wäre noch gut!) sondern der allgemeinen Kritik ausgeliefert ist.

X
Tablet drehen