Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
07.06.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
7.6.1916

Zeitlich früh informiere ich mich etwas über die Lage am russischen Kriegsschauplatz. Die letzte Meldung der 4. Armee ist nicht besser als die vorhergehende. Die Armee ist in vollem Rückzug. Der größte Teil der Truppe scheint keinen nennenswerten Kampfwert mehr zu besitzen. Es ist auch schon ein Telegramm von Falkenhayn da, der dringend die Heranführung von Verstärkungen fordert und gleich dem Einwand vorbaut, dass diese erst spät wirksam werden könnten; so beiläufig in dem Ton: Besser spät, als zu spät… - Natürlich wird die Sache noch aufgebauscht; es ist gleich von einem ungünstigen Umschwung der ganzen Lage auf dem russischen Kriegsschauplatz, von den Rückwirkungen auf Deutschland u.s.w. die Rede. Jedenfalls heißt es jetzt für mich: Kämpfen bis aufs Messer, dass die Offensive nicht unterbrochen wird. Vorläufig wurde nur, wie mir Pflug sagt, die Forderung nach Geschützen gestellt, die er glatt ablehnte. Sie gingen ohnedies nur verloren; bisher haben die Russen etwa 60, die Graben- und Infanteriegeschütze nicht gerechnet.- Die Absetzung des Erzherzogs Josef Ferdinand wurde vom Kaiser glatt genehmigt. Schon mittags kommt übrigens ein Telegramm Linsingens, worin er diese Absetzung fordert und obendrein jede Verantwortung ablehnt. Ich sprach mittags mit Metzger über die Lage und vertrat meine Ansicht, dass wir gegenwärtig überhaupt keine Kräfte haben, die imstande wären, die Situation oben, wenn ihre Entwicklung größeren Umfang annehmen sollte, zu bessern. Das können nur Deutsche tun. Metzger scheint derselben Ansicht zu sein. Er meint, der größere Umfang sei dann gegeben, wenn ein Rückzug über den Styr notwendig werden sollte. Vorläufig werde er trachten, Falkenhayn zu überzeugen, dass wir nichts Brauchbares abgeben können. - Meiner Ansicht nach gibt es vorläufig nur eine Möglichkeit: Die Operation zur Gewinnung des Novegnoplateaus, überhaupt den ganzen großen Angriff des Zentrums der Heeresgruppe durchzuführen. Ist er gelungen, so kann je nach dem Erfolg entweder in Betracht kommen, die Italiener vollständig zu schlagen und unter dem Eindruck unseres Sieges die Deutschen zur Hilfe in Russland zu veranlassen oder aber in einer wohl durchdachten, möglichst vorbereiteten Linie stehen zu bleiben, die abzugebenden Kräfte planmäßig herauszuziehen und die der neuen Lage entsprechende Gruppierung einzunehmen. Momentan ist aber nur an eines zu denken: Dem in Vorbereitung befindlichen großen Angriff den vollen Erfolg zu sichern. - Unsere Mittagsmeldung bringt nicht viel Neues; ein Nachtrag besagt, es sei noch nicht sicher, ob der M.Lemerle genommen sei. Auch die Meldung über den bevorstehenden Angriff der 28. Division, dem sich die 22. anschließen soll, hat eine merkwürdige Fassung. Überdies wird fortwährend, bald da, bald dort geboxt. Es ergeht daher nachmittags folgender Befehl: „Es ist nicht von Bedeutung, ob der für die Erzwingung des Austrittes in die Ebene entscheidende Durchbruch des Zentrums der Heeresgruppe um einige Tage früher oder später erfolgt; er muss nur, gleich dem Angriff des XX. Korps zu Beginn der Offensive auf das Gründlichste vorbereitet sein und von der gesamten Artillerie der Beteiligten, sowie möglichst vielen Batterien der benachbarten Heereskörper unterstützt werden. AOK. erwartet vom Einfluss des HGK auf die beiden Armeekommandos ein Zusammenfassen der Kräfte, insbesonders der Artilleriewirkung, und den vollen zeitlichen Einklang in den inneren Armeeflügeln. In diesem Sinne wird auch auf radikale Einstellung aller abseits der großen Kampfhandlung gelegenen zwecklosen Unternehmungen (wiederholtes Vorjagen der Infanterie gegen noch nicht niedergekämpfte Stellungen, partielle Angriffe mit Artillerievorbereitung) mit den schärfsten Mitteln hinzuwirken sein. Dem AOK ist zu melden, von wie vielen Batterien jeden Kalibers der in diesem Befehl geforderte einheitliche Angriff vorbereitet und von welchen Kräften er durchgeführt werden wird." - Chef sagt mir heute zu mittags: „Nun, Du kannst Dich jetzt bei der 4. Armee bedanken, die hat Dir's gründlich verpatzt." Worauf ich antworte: „Warum denn Exzellenz?" - um zu erfahren, ob er ernstlich an eine Kräfteabgabe denke. Er sprach aber nur im Allgemeinen von einer Rückwirkung auf die ganze Lage. Heute wird in allen verantwortlichen und unverantwortlichen Sudelküchen gekocht. Chef scheint heute noch Falkenhayn zu antworten; Cramon steckt fortwährend bei Metzger, auch Busek und Fleck konferieren fleißig. Kageneck, der heute zurückgekehrt ist, hat natürlich die Hosen ganz voll, und meinte schon, unsere I-Offensive stehe und falle mit der Styrlinie. Ich betrachte das viel ruhiger; obwohl es heißt, dass die Russen ausnahmsweise nachgehen, lang wird ihr Atem nicht reichen; es wäre denn, wenn wir ihre Vorbereitungen ganz unglaublich unterstützt hätten, was jedoch nicht anzunehmen ist. - Abends höre ich, dass Falkenhayn ein sehr ernstes Telegramm an Conrad gerichtet haben soll, als dessen nächste Folge eine Reise Conrads nach Berlin zu betrachten ist; ab morgen früh. Man spricht auch davon, dass 2 deutsche Divisionen schon fahren sollen, und Metzger sagt mir abends, dass die 61. schon wackelt. Ich kann nur nochmals bemerken, dass sie oben nicht viel ausgeben wird. Bei den „R - Leuten" Grabesstimmung, die sich sichtlich in einem besonders verstärkten Unmut gegen mich geltend macht.

Abends wieder schlechte Nachrichten von der 7. Armee; schon wieder eine Division „durchbrochen".

Salis ruft mich zum Telefon und sagt mir, Krauss sei heute nach Trient gefahren, um mit beiden Armeekommandos zu sprechen; er hat den Eindruck gewonnen, dass der Einklang „nach örtlichen Verhältnissen“ in vollkommen befriedigender Weise hergestellt sei. Salis meint, die 3. Armee mache alles ganz vorzüglich; es geht langsam, aber sicher und ununterbrochen weiter. Auch die 11. Armee sei nicht schlecht; nur sei der kommende Ruck ein viel größerer und daher ein sicheres Urteil schwieriger. Ich betone, dass es hier sehr beruhigen wird, wenn Exzellenz selbst dort ist. Und das ist keine Schmeichelei, denn er ist doch einer der Tüchtigsten und weiß immer, was er will. - Im großen kann man am Schluss des heutigen Tages sagen, dass wir in einer der schwierigsten Krisen stehen; es kann aber nichts großes geschehen, wenn man keinen Unsinn begeht; und daher ist die Reise Conrads sehr zweckmäßig…

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