Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
29.06.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
29.6.1916

Zur Abgabe der 106. ITD und überhaupt von Kräften der 5. Armee auf den russischen Kriegsschauplatz wird es vorläufig wohl nicht kommen. Gestern setzten starke Angriffe gegen das Doberdóplateau ein. Die ganze Nacht wurde gekämpft. Nördlich des M.S.Michele bestand große Gefahr, dass der Feind unsere Vorbereitungen für den Gasangriff erkannt hätte, daher wurde das Gas heute ½ 6 Uhr früh abgeblasen, worauf die Infanterie ihre Vorrückung aufnahm. Aktion soll laut Meldung den vom Kampf erschöpften Gegner völlig überrascht haben; ich verspreche mir aber nicht viel von der Sache, weil sie bestimmt überstürzt eingeleitet wurde. Die Kämpfe waren sehr hart und sind noch nicht abgeschlossen; spreche mittags mit Pitreich, der mir sagte, in dem Abschnitt seien genug Reserven, um die Italiener bis zum Eingreifen der 9.ITD. abzuwehren. Die sukzessiven Artillerie Verstärkungen werden hauptsächlich in den südlichen Abschnitt dirigiert.

Bei der 11. Armee schritt der Feind während eines schweren Gewitters zu einem neuen Angriff auf dem Zugnarücken, drang ein, wurde aber wieder hinausgeworfen. Auch sonst scheiterten alle Vorstöße der Italiener gegen die Vorpostenstellungen der 11. Armee und bei der 3. Armee.

Nachmittags teilt mir Exzellenz mit, dass der Thronfolger das Kommando einer Armee und zugleich Heeresgruppe auf dem russischen Kriegsschauplatz bekommen wird. Dies deutet darauf hin, dass nun wieder ein ganz großer Russenfeldzug bevorsteht; die Sache ist vermutlich in Wien ausgekocht worden. Heute fährt Conrad hin, morgen ist Audienz. Nach den Abendmeldungen gingen die Italiener bei 3. und 11. Armee wieder an zahlreichen Stellen unter mangelhafter Vorbereitung gegen unsere neue Front und deren Vorposten vor; sie wurden überall, mehrfach unter sehr schweren Verlusten abgewiesen. Bei 10.Armee wiederholten sich die Angriffe gegen dieselben Punkte des Plöckenabschnittes: Cellon, Freikofl, die beiden Pal. Spät abends kommt eine Meldung, dass der Cellon in feindlichem Besitz sein dürfte, natürlich mit der - ganz unzutreffenden - Entschuldigung, dass dies an der taktischen Lage im Plöckenabschnitt nichts ändere! Bei der 5. Armee hat der Gasangriff stellenweise sichtlich gut, an anderen Orten aber gar keine Wirkung gehabt, sodass die vorrückenden Truppen bald auf direkten Widerstand stießen und unter flankierender Wirkung sehr zu leiden hatten. Den Truppen der 20.ITD gelang es, auf dem M.S.Michele die Feindstellung in einer Ausdehnung von 500 Schritt vorerst (!) in Besitz zu nehmen; weiteres Vorgehen schien aber nicht geboten. (Erwarte, dass morgen auch diese genommene Stellung wieder geräumt ist). Bei 197 wurden die vorgerückten Truppen auch wieder in die frühere Stellung zurück genommen; östlich Vermegliano dauern die feindlichen Angriffe fort. Auch Monfalconerücken und Bagni unter starkem Feuer. - An der Front der Heeresgruppe scheinen die Italiener an mehreren Stellen der Auffassung zu sein, es nur mit Nachhuten zu tun zu haben. So meldete der Kommandant des XX. Korps gestern Abend dem Kommando der Hochflächen, dass ihm gegenüber kaum 8 feindliche Baone in Nachhutstellungen ständen, er daher den unterstehenden Truppen energische Fortsetzung der Offensive angeordnet habe. - Dagegen klingt das Cadorna-Communiqué vom 28.6. schon zahmer; es sagt, dass unser Widerstand gegen die eindrückende Kraft des italienischen Vorgehens an Lebhaftigkeit und Zähigkeit zunehme....

Bei 7. Armee geht es andauernd schlecht. Man gewinnt den Eindruck, dass die ganze Armee keine Widerstandskraft mehr hat. Sie wird in Stellungen westlich Kolomea zurück genommen.

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