Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
22.06.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
22.6.1916

Gestern abends noch antwortete das HGK., dass es bereits befohlen habe, dass im Falle eines feindlichen Angriffes vor dem 25. Juni zunächst die jetzigen Stellungen zu halten sind. Ein Telegramm Carlottis vom 20. sagt: „Ich habe Grund zur Annahme, dass Giers (russischer Botschafter in Rom) beauftragt wurde, Seiner Exzellenz (Sonnino) gegenüber das außerordentliche und gemeinsame Interesse hervorzuheben, die günstigen Umstände zu benützen, um Österreich den entscheidenden Schlag zu versetzen. Obwohl Russland bekannt ist, dass Deutschland Österreich rät, die größtmögliche Kraftentfaltung an der russischen Front zu entwickeln, ist es bereit, in seinen Operationen das Äußerste zu leisten, und es wäre wünschenswert, dass Italien durch Übergang zu einer energischen Offensive das Gleiche täte. Der Moment eines endgiltigen Erfolges in diesem Krieg könnte durch einen tatkräftigen Angriff auf 2 Fronten beschleunigt werden. Die russische Regierung vertraut darauf, dass Italien diese Anschauung teile. Ich glaube, eine gleichlautende Kundgebung wurde vom General Alexejeff an Cadorna gerichtet." - Ein zweites Carlotti-Telegramm sagt, der König von Rumänien habe bei einer Audienz Filipeno's durchblicken lassen, dass der geeignete Moment für das Eingreifen Rumäniens sich nähere. - Beide Telegramme wurden Falkenhayn bekanntgegeben. Conrad sagt, sie bestärken ihn in der Überzeugung, dass Russland und Italien jetzt die Kriegsentscheidung durch gleichzeitige Angriffe auf beiden Fronten der Monarchie mit ganzer Kraft anstreben werden. „Die Konsequenzen sind, wenn unsere Feinde ihr Ziel erreichen, klar. Das Losgehen Rumäniens soll zweifellos durch starkes Vorgehen des russischen Südflügels herbeigeführt werden. Von uns ist an beiden Fronten das Äußerste zur Abwehr eingesetzt, für einen rumänischen Angriff nichts mehr verfügbar. Ich empfehle E.E. nochmals, durch Einsetzen stärkerer Kräfte gegen die russische Südwestfront, an welcher jetzt zweifellos die Feldzugsentscheidung liegt, einen raschen entscheidenden Umschwung herbeizuführen. Für diesen Zweck erscheint mir, bei Fortführung des Angriffes Linsingens, ein Angriff stärkerer deutscher und österreichischer Kräfte beiderseits des Dnjestr geboten."

Nach Mittagsmeldungen keine besonderen Ereignisse. Nur an der gegen Osten gerichteten Front der 3. Armee deuten regere Patrouillentätigkeit und heftige Beschießung einzelner Abschnitte auf einen bevorstehenden Angriff. Dort auch 2 neue Brigaden: Eine neu aufgestellte (225 - 226), eine aus der Val Sugana.

Heute früh fragte Falkenhayn, welche frischen und starken österreichisch-ungarischen Kräfte für den Angriff beiderseits des Dnjestr in Frage kämen und ob Maßnahmen getroffen sind, die dem Feind das Vordringen über die Karpaten nach Ungarn oder Siebenbürgen hin unbedingt verwehren. - Antwort: „Außer den gegen Russland schon eingesetzten Kräften kann ich bis anfangs Juli noch 2 ITD aus Tirol heranführen. Mehr habe ich momentan nicht. Ob ich im Juli noch weitere Kräfte von der italienischen Front abziehen kann, wird vom Verlauf des italienischen Gegenangriffes abhängen, welcher zweifellos unmittelbar beginnen wird." Dann folgen weinerliche Auseinandersetzungen, die darin gipfeln, dass wir nicht imstande sind alles gleichzeitig zu machen: Angriffskräfte beiderseits des Dnjestr bereitzustellen, Vordringen nach Ungarn zu verwehren, und die italienische Front zu halten, worauf es doch auch wesentlich ankommt. Sollten stärkere deutsche Kräfte nicht zur 7. und Süd-Armee herangeführt werden, so müssten wir uns aufs Flicken beschränken. (Verwendung der beiden herankommenden Divisionen, um den russischen Vormarsch durch die Bukowina und Ungarn aufzuhalten. Ausreichen werden die beiden Divisionen dazu voraussichtlich nicht. „Die Folgen für unsere russische Gesamtfront, für die Kriegslage im Grunde und für das Eingreifen Rumäniens sind unverkennbar".)

Auf unsere Frage: „Wird HGK. im Falle eines feindlichen Angriffes vor dem 25. Juni die Schlacht annehmen oder nicht“, lautet die Antwort: „HGK. wird in diesem Falle die Schlacht annehmen. Hiezu ist beabsichtigt, die jetzigen Stellungen zunächst solange zu halten, bis der feindliche Angriff abgewiesen ist, sodann entsprechend dem Befehl des AOK. die neue Widerstandslinie zu beziehen." Die Frage, ob HGK. einen großen feindlichen Angriff für nahe bevorstehend hält, wird dezidiert mit „nein" beantwortet. Conrad schrieb zu dieser Sache eine Seite voll und beschäftigt sich mit den verschiedenen Eventualitäten der nächsten Tage, besonders mit dem Fall eines feindlichen Angriffes vor dem 25. „Sollte sich dabei ein großer eigener Erfolg ergeben (!), der Feind also schwer erschüttert zurückfluten (!!), so wird es darauf ankommen zu entscheiden, ob durch energische Nachstöße der Erfolg zu einer Niederlage des Feindes zu erweitern sein wird (!!!), um erst in späterer Folge die kürzere rückwärtige Linie zu beziehen. (Das ist das Allermerkwürdigste! Dann würde doch kein Mensch ans Zurückgehen denken. Leider aber ist dieser Fall geradezu ausgeschlossen.) „Ich halte dafür, dass alle Führer in den Geist dieser Forderungen eingeweiht sein sollten und dass die Armeekommandanten in unablässiger Verbindung mit den kämpfenden Truppen seien, um deren Verhalten im obigen Sinn zu leiten". (Sehr schön, entzieht sich aber unserer Einflussnahme.)

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