Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
19.06.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
19.6.1916

Nachts sehr schlecht geschlafen; vielleicht das erste Mal in diesem Krieg wegen der Situation. Immer wieder kommt mir unser Rückzug in den Sinn; aber bei ruhiger Überlegung werde ich immer fester in der Überzeugung, dass er unter den jetzigen Umständen notwendig ist. Stehe schon sehr früh auf, gehe, das heißt renne 2 Stunden spazieren, spüre aber keine Besserung.

Vormittags nehme ich Fühlung mit Soós auf. Er scheint recht zufrieden zu sein. Wegen Pasubio hat er schon die gleiche Ansicht dem Heeresgruppenkommando gegenüber geäußert; über Durchführung der rückgängigen Bewegung sagt er mir, dass sie in der Nacht zum 25. beginnen dürfte, und zwar von beiden Armeen gleichzeitig. Die 3. hat sehr schwierige Verhältnisse für das Zurückbringen ihrer Artillerie, daher muss die 11. warten. - Mittags höre ich, dass Herberstein morgen zur Berichterstattung an den Kaiser nach Wien muss; dieser will über Zustand der Armeen, Zahl der Gefangenen, verlorenen Geschütze, gefangene Generäle und Obersten, Geist der Truppen u.s.w. orientiert sein.

Falkenhayn telegraphierte erneuert und stellte, wie ich höre, sehr scharfe Bedingungen: Beschleunigung der Antransporte aus dem Südwesten, radikale Verkürzung der italienischen Front, Auftrag an 7. Armee, die Karpatenpässe nur mit schwachen Kräften zu decken, sonst gegen Westen zurückzugehen. Betrauung Mackensens mit dem Kommando der ganzen Front zwischen Pripjet und der rumänischen Grenze. (Dies alles vorläufig nur notiert, wie ich es hörte!) Geantwortet wurde, dass die Befehle zur Verkürzung der italienischen Front schon gegeben seien, Bedingung für die Zustimmung zum Oberbefehl Mackensens ist Heranführung einer starken deutschen Armee. Laut Vormittagsmeldungen griffen die Italiener wieder an der Front der 3. Armee an mehreren Stellen an und wurden überall abgewiesen. - Nach den Abendmeldungen sind die Ablösungen zum Herausziehen der 44.ITD in vollem Gange; die 34.ITD wurde im Busibolloraum durch die 21.IBrig. abgelöst und löst nun die Cengiogruppe (44.ITD) ab; die 21.IBrig. wies bereits einen feindlichen Angriff ab. Am Nordflügel des III. Korps, wo GM. Müller das Kommando übernommen hat, ist die Lage wieder gefestigt. Überall starke Niederschläge und Gewitter. - Auf Grund der übereinstimmenden Urteile der Kommandanten beim XX. Korps soll die Höhenlinie unmittelbar nördlich der Posina nicht gehalten werden, da diese einen viel größeren Kräfteverbrauch bedingen würde. Nun gut. Geradezu komisch klingt es, wenn das HGK. sagt, die gänzliche Besitznahme der Pasubiohochfläche sei von Anfang an, in seiner Absicht gelegen. Nebenbei: Die Durchführung dieser Absicht kann aber nach den jetzigen Schneeverhältnissen und erforderlichen Vorbereitungszeit derzeit noch nicht in Betracht kommen. Dafür aber: Abgesehen von der Wegnahme des Pasubiogipfels besteht die Absicht, die Zeit wo der Feind seine Hauptkraft noch zwischen Etsch und Brenta versammelt hat, dazu auszunützen, um mit den eigenerseits dort erübrigten Kräften auch an anderen Stellen Verbesserungen unserer Front zu erreichen, die für die fernere Behauptung der Tiroler Front von militärischen und späterhin bei Einstellung der Feindseligkeiten auch von politischem Wert wären. Die nächste Absicht ist: Abschnittsweise Zurücknahme der Front in die neue Verteidigungslinie, Zeitkalkül wird noch gemeldet werden. An der russischen Front ist das Wichtigste das Vorgehen sehr starker russischer Kräfte, wie ich höre, 8 Divisionen durch die Bukowina. Unsere Linie ist am Sereth wieder durchbrochen; an ein weiteres Halten soll, wie das erfahrene Leute sagen, nicht zu denken sein. Mackensen kommt; Falkenhayn meint, es seien ja jetzt schon genug deutsche Truppen an unserer Front, um den deutschen Oberbefehl zu rechtfertigen.

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