Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
11.06.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
11.6.1916

Bei der Deutschen Obersten Heeresleitung sind offenbar große Entschlüsse gefasst worden:

Man will, so scheint es mir, die Lage auf dem russischen Kriegsschauplatz mit starken Kräften radikal umgestalten. Mittags schon höre ich, dass 7 deutsche Divisionen kommen sollen und nachmittags sagt mir Fleck, es handelt sich jetzt darum, der Entente zu zeigen, dass wir trotz des Angriffes der Russen nirgends locker zu lassen brauchen, sondern sowohl gegen Frankreich als auch Italien „weitermachen" können: Wie radikal die Deutschen eingreifen, zeigt sich besonders aber darin, dass sie auch Ostgalizien Kräfte anbieten, allerdings unter der Bedingung, dass in den Kommandoverhältnissen eine grundlegende Änderung erfolgt und Seeckt Chef des Stabes der 7. Armee wird. Wegen dieser Bedingung wird das Angebot glatt abgelehnt; tatsächlich ist man ja hier in einer schweren Lage, da schließlich die 7.Armee, wenn auch unter höchst unruhiger Führung, schließlich doch das Beste von allen Armeen des russischen Kriegsschauplatzes geleistet hat. Den Deutschen aber handelt es sich zweifellos um Rumänien, dessen politische Haltung umzuschlagen droht, wenn die Russen in der Bukowina große Erfolge erzielen (obwohl man dies schon oft geglaubt hat und es doch nie eingetreten ist).

Resümee der Meldungen bis Mittag: Bei XXI. Ablösung der 48. beendigt. Bei VIII., XX. kleinere Vorstöße, bei III. ein aus dem Raum Stoccorado - Xaibena angesetzter größerer Angriff abgewiesen. - Aus dem Raum von Primolano steht ein Angriff des italienischen XX. und XVIII. Korps gegen den Nordflügel unseres III. Korps bevor. Die Italiener können hier 6 Brigaden (davon 4 unverbrauchte), dann etwa 10 Alpinibataillone und 1 Bersaglieriregiment, die aber schon ziemlich gelitten haben, gegen 4 Brigaden unsererseits ansetzen. Das Unternehmen ist daher aussichtslos.

Heute ging an den Minister des Äußeren eine vertrauliche Orientierung ab, vom Chef selbst geschrieben und für dessen Auffassung kennzeichnend: „Die jetzige Aktion ist der allgemeine Angriff der dazu wohl vorbereiteten und ausgerüsteten Russen gegen unsere Front bei vorläufigem Zuwarten gegenüber den Deutschen. Doch sieht man auch dort dem allgemeinen russischen Angriff entgegen. Der Angriff gegen uns erfolgte anfänglich nicht mit wesentlich überlegenen Kräften, hat jedoch durch das ganz unerwartete Versagen unserer 4. Armee einen für die Russen sehr günstigen Beginn. Überlegen drücken die Russen auch in der Nordbukowina vor, wo sie nach einer Woche erbitterter Kämpfe ebenfalls durchgedrungen sind. Es ist deutsche Hilfe vereinbart, die jedoch erst in einigen Tagen geltend werden kann; ebenso eigenerseits getroffene Maßnahmen. Bis dahin muss mit schwierigen Kämpfen und ernster Situation gerechnet werden; doch ist Umschwung der Lage zu erhoffen." Bekam in diese Sache, die sehr, sehr düster klingt, Einsicht, da ich sie zu einer Orientierung Krauss‘ benützen sollte; da ich aber erheben konnte, dass es sich nur um eine Neugierde eines Generalstabsoffiziers handelt, bitte ich Metzger, diese Orientierung unterlassen zu dürfen, was er auch ohne weiteres zugibt.

Bei uns: 2 Angriffe am Vallarsa abgewiesen, ebenso auf den Lemerle und bei Boscon. In den Dolomiten anhaltendes, äußerst lebhaftes Artilleriefeuer gegen den Raum Schluderbach - Rienztal. Feindlicher Angriff abgewiesen. Mehrere Anzeichen lassen aber vermuten, dass hier eine größere Unternehmung, Ziel Pustertal, bevorsteht. - Ich muss hervorheben, dass die Heeresgruppe die Abgabe der 48. ohne weiteres eingeleitet hat. Salis sagt mir abends noch, das Wetter sei gut, alles wird programmgemäß gehen. Morgen ist also für unseren Kriegsschauplatz ein großer, vielleicht der entscheidende Tag. Die Gesamtlage braucht eine gewaltige Wendung zum Besseren. Vielleicht kann sie unser Angriff von 100 Bataillonen und 450 Batterien bringen. Dann heißt es aber vorwärts und den Einen ganz niederkriegen. Ich werde kein Mittel scheuen um das zu erzwingen… Wiederholt habe ich in letzter Zeit Kageneck vorgehalten, dass Deutschland noch nicht den Krieg an Italien erklärt hat; hier muss man den Hebel ansetzen. Übrigens bin ich überzeugt, dass es in Ostgalizien nur die Deutschen machen können; sie werden aber auch alles durchsetzen, was sie wollen. - Habe heute Inspektion und hoffe, Zeit zu finden und nicht zu müde zu sein, um mir die russische Situation näher anschauen zu können: Bevor Metzger weggeht, sagt er mir noch, die Beschränkung der Ziele unten wird nun unbedingt eintreten. Die 7. Armee bestehe nicht mehr. Aus den letzten Meldungen gehe dies mit aller Deutlichkeit hervor. (Also da liegt der Hund begraben! Kann eine Armee plötzlich nicht mehr bestehen? Die Deutschen scheinen die Lage, wohl durch Hesse besser gekannt zu haben als wir! Die Lage und die Menschen; denn letztere sehen sie jedenfalls unbeeinflusst von liebevoller Zärtlichkeit, und das muss man im Kriege...)

Ich beruhige Metzger damit, dass ich ununterbrochen daran denken und arbeiten werde, um die Bahn zu füllen. Mehr hat keinen Zweck. Und ich bin überzeugt, dass wir auch so siegen müssen. Unter den 16 Brigaden, die unser morgiger (morgiger - wenn Petrus nicht anders will) Angriff trifft, sind 10 neu formierte! - Nun aber genug, sonst schreibe ich noch bis in den Morgen hinein. Eigentlich sollte man das, um jeden Tag dieser ganzen großen Zeit einzufangen…

 

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