Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
01.07.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
1.7.1916

Früh erzählt mir Kless, der Inspektion hat, er habe bis ½ 3 Uhr früh mit Fleck gesprochen. Dieser meinte, die Lage werde in Deutschland äußerst ernst beurteilt. Auch Falkenhayn sei schon nervös geworden. Die Stimmung im Hinterland ist sehr gedrückt und überträgt sich auch schon auf die Truppen, denen der frühere Schwung gänzlich fehlt. (Dies glaube ich, dürfte wohl überall der Fall sein). Die wirtschaftliche Lage sei gefahrdrohend, die Kindersterblichkeit nehme beträchtlich zu. - Und wer ist schuld daran: In erster Linie unser Winterschlaf und die persönliche Eitelkeit und Eifersucht zweier Menschen!

Nach Mittagsmeldungen bei uns im Angriffsraum (seligen Andenkens) dasselbe Bild: Zahlreiche italienische Vorstöße, die abgewiesen wurden. (Spreche heute früh wieder mit Soós; er sagt mir, dass Pasubio-Unternehmung morgen stattfinde und er glaube, dass sie gelingen werde. Er arbeite sich sehr schlecht mit Bozen, das nur vom grünen Tisch befehle, während bei ihm alles draußen sei.) Kärnten bekommt das IR 102 der 9.ITD als Verstärkung; spreche darüber mit Spitzmüller und kann nicht umhin ihn etwas aufzupulvern, als er auch dieses Regiment zuerst retablieren will (!); ich meine, Hauptsache ist, dass jetzt keine Berge mehr verloren werden. Bei 5. Armee gestern im Nordabschnitt der Hochfläche mehr Ruhe, im Südteil sehr lebhaftes Artilleriefeuer aber auch kein Infanterieangriff. Heute bereits eine zweite Brigade (Sardegna) nach Gefangenenaussage zu vermuten. -

Über die neue Ordnung der Dinge an der russischen Front erfahre ich, dass Erzherzog (mit Seeckt als Generalstabschef, Waldstätten diesem zugewiesen) die 7., 12. und Südarmee kommandieren wird; die 2. Armee bleibt dem AOK unterstellt. Erzherzog und Linsingen werden nicht nur dem AOK, sondern auch der Deutschen Obersten Heeresleitung direkt melden; Befehle werden von den beiden Heeresleitungen im Einvernehmen erteilt. Hiemit ist eigentlich jeder Einfluss des AOK auf die Operationen im Norden ausgeschaltet. Es unterliegt auch keinem Zweifel, dass sich der Einfluss dieser Tatsache auf den Frieden verpflanzen wird, den Deutschland in jedem Fall auf unsere Kosten schließen wird.

Erzherzog Thronfolger ist bereits in Schwung; abends in Bozen durchgefahren. Am 4. dieses Monates tritt die neue Befehlsregelung, Seeckt mit voller Vollmacht, in Kraft.

Nachrichten über einen Angriff der Entente Mitte Juli an allen Fronten verdichten sich; es ist aber auffallend, dass davon in unseren diplomatischen Telegrammen nichts zu lesen ist. Jedenfalls ist höchste Aufmerksamkeit auf allen Kriegsschauplätzen, auch auf unserem geboten; letzterer umsomehr, als beim Heeresgruppenkommando schon wieder eine Tendenz zur Verzettelung besteht. Morgen Pasubio; Wetter gut, Soós zuversichtlich; aber Glück gehört auch dazu. - Nach Abendmeldungen bei 11. Armee wiederholte feindliche Angriffe gegen Valmorbia, am Pasubio, westlich Castona unter schweren Verlusten des Feindes abgewiesen. - Bei 3. Armee je ein feindlicher Angriff auf Interrotto und am Nordflügel des III. Korps abgewiesen. In diesen Kämpfen 5 – 600 Gefangene gemacht. - Im Ortlergebiet Kristallspitze (3480 m) nach leichtem Kampf genommen. In der Serantastellung mehrere Angriffe abgewiesen. Ebenso gegen Undici und Fedaja. - Bei 10. und 5. Armee keine Infanteriekämpfe, bei letzterer aber rege Fliegertätigkeit.

Abends Meldung von neuerlichem Durchbruch der 7. Armee; Mitte musste hinter den Pruth zurück, Südflügel in südöstlicher Richtung. Stand der ganzen Armee zwischen Dnjestr und Gebirge 24.000 Gewehre (44. und 59. ITD nicht eingerechnet). Auch die 4. Armee, wo Tersztyánszky drakonische Maßnahmen an - soll nur mehr die Gefechtskraft einer Division haben.

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