Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
03.01.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
3.1.1916

Früh lese ich die an Conrad gesandte Abschrift einer sehr interessanten Note Tiszas an Burián. Tisza bezieht sich auf die zwischen Conrad und Burián schwebende Korrespondenz über die Fragen der äußeren Politik und speziell über unsere Annexionsabsichten bezüglich der besetzten Gebiete wegen Gewinnung von Richtlinien für unsere jetzige Militärverwaltung. Er gibt zu, dass eine Aussprache zwischen allen verantwortlichen Faktoren der Monarchie in diesen Fragen geboten sei, empfiehlt aber eine gewisse Zurückhaltung in Annexionsabsichten und betont, dass speziell eine Orientierung der für die äußere Politik verantwortlichen Faktoren über die militärische Lage und allgemeinen Absichten von größtem Wert sei. Auf seine Beurteilung der militärischen Lage eingehend, warnt er (der in den schwierigsten Lagen immer gegen den Pessimismus angekämpft habe) nun vor einem zu großen Optimismus. Unsere und die deutschen Armeen haben zwar überall große Erfolge errungen, nirgends aber seien die Feinde niedergezwungen, vom Balkan abgesehen, wenn dort noch die Entente aus Saloniki vertrieben wird. Die Chancen eines deutschen Angriffes in Frankreich würden von allen maßgebenden Faktoren als sehr gering eingeschätzt. In Russland haben wir zwar bedeutende Gebietsteile erobert, in unserem siegreichen Fortschreiten aber erkennen müssen, dass von einer Bezwingung dieses Reiches keine Rede sein könne. Auf dem italienischen Kriegsschauplatz hat zwar der Heldenmut unserer Truppen alle Anstürme des Feindes abgewiesen; es sei aber (diese Ansicht ist besonders bezeichnend) für die Erringung eines eine sichere Zukunft der Monarchie verbürgenden Friedens notwendig, dass das italienische Heer geschlagen und unsere Offensive auf italienisches Gebiet getragen wird. Hierauf kommt er auf die Frage des Verschwindens von Serbien und Montenegro zu sprechen. Der Grundgedanke seiner Ausführungen ist, dass die ungarische Nationalität, die sich in diesem Kriege so bewährte, die festeste Stütze für Österreich und die Gesamtmonarchie bleiben müsse. Tisza hält es aber im Gegensatz zu Conrad für unmöglich, dass Ungarn so viele Serben, wie sie durch eine Annexion beträchtlichen serbischen Gebietes an uns kämen, verdauen könne; er bezeichnet die Folgen einer solchen Annexion geradezu als katastrophal und kommt dann auf seine Ausführungen im Ministerrat vor Absendung des Ultimatums an Serbien zurück, wo alle Mitglieder des Ministerrates einig waren, dass eine über Grenzkorrekturen hinausgehende Erwerbung serbischen Gebietes nicht beabsichtigt werden dürfe. Dies sei die Bedingung für die Zustimmung der ungarischen Regierung zur Absendung der Note gewesen und sei auch heute noch für alle Teile bindend; gleichwohl sei er mit einer weiteren Auffassung des Begriffes Grenzkorrekturen, also mit der Erwerbung der strategisch notwendigsten Gebiete einverstanden. Er will jedoch „2 kleine Staatchen“ Serbien und Montenegro bestehen lassen. Über alle diese Fragen hält er eine baldige Besprechung, an welcher auch der Chef des Generalstabes teilzunehmen hätte, für sehr erwünscht; diese könne in den nächsten Tagen, und zwar in der Pause der Parlamentstagung stattfinden. (Conrad bemerkt dazu; Wenn (der Chef des Generalstabes) er Zeit hätte... Nun man hat zu anderen Dingen Zeit... - Die Note ist, wie alles, was von Tisza kommt, glänzend geschrieben; man hat das Gefühl, dass hier ein großer Realpolitiker spricht, der in der Beschränkung Meister sein muss und auch die Aufgaben des Friedens nicht aus dem Auge verlieren darf.

Heute früh rückte Schitler ein.

Vor der 7. Armee scheint es ruhiger zu sein. Christophori meint, das Armeekommando habe in seinen Meldungen Panik gemacht.

Interessant sind die mir heute vorliegenden Standesnachweisungen vom 1.12. Ich notiere sie:

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