Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
27.01.1916
Wählen Sie aus:
Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
27.1.1916

Vormittags Gottesdienst in der protestantischen Kirche anlässlich des Geburtstages des Deutschen Kaisers.

Vormittags spreche ich mit Kundmann über I-Sache. Er erzählt mir, die beiden Chefs hätten gestern eingehend darüber debattiert; und Falkenhayn habe zugestanden, dass er den Erfolg durchaus für möglich und wahrscheinlich halte; nur verspricht er sich davon keine Kriegsentscheidung. Soweit ich den Äußerungen Kundmanns entnehmen kann, ist unser Chef aber fest der Ansicht, dass ein siegreicher Feldzug gegen Italien die Kriegsentscheidung bringen könnte, da das italienische Volk zusammenklappen würde. Ich betone vor allem, dass ich es für notwendig halte, bald zu einem bestimmten Entschluss zu kommen, auch wenn dieser lauten sollte, dass wir gegen Italien nichts Großes mehr unternehmen. Müsste man sich doch in diesem Falle bemühen, unsere militärische Situation im Hinblick auf den künftigen Frieden zu verbessern, was mit unseren jetzigen Kräften zweifellos gelingt. Natürlich halte ich dies für eine halbe und schlechte Lösung; im Angriff großen Stils allein liegt das Heil. Es mag immerhin Bedeutung haben, dass Kundmann in dieser Richtung beeinflusst wird.

Sehr logisch ist es, dass nun die Entente alles daransetzt, Italien zu einer Teilnahme an der Saloniki Expedition zu gewinnen, damit es 1) mit Deutschland in militärische Berührung kommt, 2) in eine eventuelle (wahrscheinliche!) dortige Niederlage mit verwickelt ist. - Also kurz, damit der Londoner Vertrag fester geknüpft wird! Ebenso ist es natürlich, dass sich Deutschland, (das seine Beziehungen zu Italien wohl nie abgebrochen hat), jetzt auf Hinterwegen bemüht, jene Teilnahme zu verhindern. - Tatsächlich sprach Sonnino in einem Telegramm nach Petersburg vom 22. angelegentlich von der Salonikisache. England will erreichen, dass wenigstens eine italienische Division mittut. Italien hingegen zieht und windet sich, was es nur kann. (Soweit die Chiffren dieses Telegrammes verständlich sind, heißt es: „Die Beratungen der militärischen Autoritäten Frankreichs und Englands haben ergeben, dass zur Sicherstellung der Aktion der Beitritt Italiens in Anbetracht der höchsten Schwierigkeiten für die Franzosen und Engländer, weitere Kräfte nach Saloniki zu senden, äußerst wichtig sei.“ Aus diesem Grunde und mit Rücksicht auf die moralische Wirkung der Einigkeit unter den Alliierten, arbeiten Grey und die französische Regierung, soweit es in ihrer Macht liegt, wenigstens für die Entsendung einer Division. - Vom LVK Tirol kam ein Antrag auf Auflassung der Festung Trient. Ich bin sehr dafür, da ich ein Vordringen der Italiener nahe an Trient heran nach allen bisherigen Erfahrungen für vollkommen ausgeschlossen halte und es schade ist, das Material und Personal nicht für die Verteidigung von Südtirol in den vorderen Stellungen zu nutzen. Dementsprechend entwerfe ich die Erledigung, General ist einverstanden; die Artilleriegruppe dürfte aber Schwierigkeiten machen, die ich jedoch zu überwinden willens bin. Natürlich wird dafür gesorgt, dass die Verpflegung unangetastet bleibt, ohne dass die Leute in Marburg und Bozen etwas von den weiteren Absichten wittern. („Das AOK. wird über die Verpflegung noch verfügen.“) - Anlässlich der Vorlage dieses Stückes führe ich ein längeres Gespräch mit General herbei, der mir in seiner gewöhnlichen Liebenswürdigkeit und mit großem Vertrauen ziemlich viel über die jetzige Lage erzählt. - Was zunächst Italien betrifft, wiederholt er so ziemlich die Angaben Kundmanns, Falkenhayn sei zur Überzeugung gekommen, dass ein Angriff mit den von uns vorgeschlagenen Kräften möglich sei und auch einen entscheidenden Erfolg herbeiführen könne. Nur glaubt er, dass die Entente auch in diesem Falle imstande sein wird, Italien am Friedensschluss zu verhindern, da sie es vollkommen in der Hand hat, und zwar bezüglich Verpflegung und namentlich bezüglich Kohlen. Auf meinen Einwand, dass wir ja mit letzteren dienen können, sagt Metzger, ein Kalkül habe ergeben, dass dies nicht der Fall sei! Conrad aber ist der festen Überzeugung (und er hat Recht darin), dass eine entscheidende Schlappe eine derartige Volksbewegung in Italien hervorrufen würde, dass dadurch der Frieden erzwungen werden könne. Ich komme auf die Lage an der Südwestfront zu sprechen und hebe hervor, dass es an der Zeit wäre, in Tirol und Kärnten Reserven zu haben. General ist auch dieser Auffassung, da es sehr leicht eintreten kann, dass die Südwestfront bei einem nächsten italienischen Angriff mit ihren eigenen Kräften auskommen muss. Wir sprechen auch darüber, wie dies dem Kommando nahezulegen wäre; er meint, dass damit noch gewartet werden kann, weil alles weitere nun in erster Linie von dem nächsten Entschluss Falkenhayns, den er Anfang Februar fassen dürfte, abhängt, von dem Entschluss, ob Saloniki anzugreifen sei oder nicht. Gegen letztere, an sich sympathische Eventualität spricht der Vertrag mit Bulgarien; ansonsten könnte man die Bulgaren gegen die Ententekräfte bei Saloniki beruhigt allein lassen. Sollte der Angriff auf Saloniki aufgegeben werden, so würden 4 deutsche Divisionen frei. Wir verfolgen am Balkan keine weiteren Ziele, sondern ziehen die bekannten Kräfte heraus. Diese könnten aber eventuell für die russische Front notwendig werden. Es scheint nämlich, dass Falkenhayn die Absicht hat, in nächster Zeit etwas Großes in Frankreich zu machen. Dazu wird er natürlich alle Kräfte heranführen; dies dürfte aber die Forderung auslösen, die deutschen Divisionen aus unserer galizischen Front herauszuziehen und sie durch Kräfte von uns (nämlich die vom Balkan frei werdenden) abzulösen. Im Zusammenhang mit diesem Wunsch, Kräfte freizumachen, wurde auch die Vorbereitung der jetzt brach liegenden türkischen Streitkräfte besprochen. Falkenhayn sagte, jetzt seien sie noch nicht genügend ausgebildet und ausgerüstet; in der Folge aber hoffe er sie in der Verteidigung an der russischen Front gut verwenden zu können. In diesem Falle würde er den Marschall Liman, der eine feste Faust hat, zur Verfügung stellen. Eine ernste Sorge bereite auch die Haltung Rumäniens. Die Entente vermag nämlich die Ausfuhr des von uns gekauften Getreides zu verhindern. Da kann es nun notwendig werden, Rumänien sogar ein Ultimatum zu stellen; so unlogisch es ist, sich selbst einen neuen Feind aufzuhalsen, kann die wirtschaftliche Lage dazu zwingen. Denn wir und Deutschland wären, falls diese rumänische Ausfuhr unterbliebe, nicht imstande wirtschaftlich durchzuhalten, wenn noch eine mindere Ernte käme. Die Frage eines Angriffes auf Rumänien löst natürlich ganz neue Kombinationen aus. Hochinteressant - und sehr ernst ist diese Lage. Ich beabsichtige, das Italien Betreffende noch gründlich durchzudenken und in einem Gedächtnisbehelf für die nächste Besprechung des Chefs, die anfangs Februar stattfinden dürfte, zusammenzustellen.

X
Tablet drehen