Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
23.01.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
23.1.1916

Die Morgenzeitung bringt heute mehrere interessante Nachrichten über Friedensstimmungen in Italien, die ich ausnahmsweise zusammenstelle: 1) Angeblich bevorstehender Rücktritt des Kabinetts Sonnino – Salandra, 2) eine angebliche Äußerung Salandras in der Kammer: Die Kriegsfreunde und Kriegsgegner dürften darin einig sein, für den März den Frieden zu erwarten, natürlich mit der Erfüllung der nationalen Aspirationen Italiens, 3) starke Friedenskundgebungen auf dem Sozialisten Kongress in Bologna. 4) Giolitti soll nach Rom kommen, um an den am 1.März beginnenden parlamentarischen Arbeiten teilzunehmen. 5) Neuerliche Nachrichten über Vorbereitung zur Räumung Albaniens.

Die Waffenstreckung der Montenegriner scheint nun glatt vor sich zu gehen. Heute treten unsere Truppen (XIX. und Gruppe Braun) die Vorrückung zur Gewinnung der Linie Podgorica - Nikšić an. Von der gegen Scutari dirigierten Gruppe lief keine Meldung ein; Dulcigno und Antivari sind von unseren Truppen besetzt. -

Mittags spreche ich mit Wiesner über die Zeitungsnachricht über Friedensstimmung in Italien. Er sagt, diese Pressekampagne sei vermutlich durch einen Ausspruch des Deutschen Kaisers in Niš veranlasst worden, der besagte, im März sei alles aus; man dürfe die Nachrichten keinesfalls überschätzen.

Von Falkenhayn kommt ein Telegramm wegen Abberufung des Oberst Bartenwerffer, schlau stilisiert wie immer: „Da ich annehme, dass der beim Kommando der Südwestfront kommandiert ist, seine dortige Aufgabe erfüllt hat, beabsichtige ich ihn abzuberufen, falls Eure Exzellenz nicht Bedenken dagegen erheben. Für eine Stellungnahme zu dieser Frage würde ich dankbar sein.“ Diese Sache hat wohl höhere Bedeutung; die vorliegende Absicht ist nur das Schlussglied in einer langen Kette des allmählichen Zurückziehens der Deutschen von der italienischen Front, das mit der Wegnahme des Alpenkorps begonnen hat. Mein Entwurf der Antwort lautet: „So sehr ich ein Verbleiben des auf seinem jetzigen Posten noch für vorteilhaft halte, kann mir doch nur die Absicht Eurer Exzellenz maßgebend sein.“ Anknüpfend an diese Angelegenheit abends ein längeres Gespräch mit Metzger. Er und Chef sind mit der vorgeschlagenen Fassung einverstanden. Es ist ihnen selbstverständlich nicht entgangen, worauf Falkenhayn hinaus will. Metzger ist überzeugt davon, dass er imstande ist, uns an einer Offensive gegen Italien zu hindern und vermutet, dass er es vor allem aus dem Grunde tun wird, damit dort unten ein Gegengewicht bleibt und wir nicht zu groß werden. Andererseits hält der Chef die Offensive gegen Italien noch immer für unser nächstes und einzig positives Kriegsziel; denn selbst im Falle eines Friedens mit Italien und im Falle der unwahrscheinlichen Voraussetzung, dass wir unsere mobilen Kräfte aus dem Südwesten frei bekommen, verspricht eine mit einem Plus 20.000 Mann (eingerechnet der frei werdenden Balkan Kräfte) angesetzte Offensive gegen Russland keinen sicheren Erfolg und nicht den Frieden. Aus allen diesen Gründen ist Metzger sehr für die Versöhnlichkeit und hat es bedauert, dass der Chef dem bewussten Versöhnungsbrief eine persönlich weniger versöhnliche Note gab; er wartet nun mit Spannung die Antwort Falkenhayns ab.

Abendmeldung: Nichts Neues. – An der Tiroler Front scheinen die italienischen Mannschaftsbeurlaubungen noch ihren Fortgang zu nehmen. Angriff einer Kompagnie auf unsere neue Vorstellung am Rombonhang abgewiesen.

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