Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
23.04.1916
Wählen Sie aus:
Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
23.4.1916

(Ostersonntag)

Der heutige Vormittag war inhaltlich vielleicht die schwerste und folgenreichste Stunde des ganzen I - Krieges bisher. Um 9 Uhr kam der erwartete Bericht. Die Ausführungen des 11.AK. gipfeln darin, dass trotz der beim Gegner im Gange befindlichen Verstärkungen mit dem Angriff zugewartet werden soll. „ Die ganze Angriffsbewegung müsse ununterbrochen und mächtig vorwärtsschreiten, wenn der erhoffte, kraftvolle und erfolgreiche Eindruck auf den Feind erzielt werden soll. Gelingt es, unsere Infanterie unter der Mithilfe einer selten mächtigen Artillerie fließend an die feindlichen Stellungen heranzubringen, so bin ich des Erfolges sicher. Bei den herrschenden Schneeverhältnissen kann vielleicht die 1. feindliche Verteidigungslinie bald genommen sein, ein weiteres Vorwärtskommen wird sich aber derart verzögern, dass der scheinbare Zeitgewinn, der durch einen früheren Operationsbeginn erzielt wird, durch dies ehr erschwerte und bedeutend verzögerte Vorwärtsbewegung aufgezehrt wird und der moralische Eindruck auf den Feind verloren geht. Wenn es aber die Lage unbedingt erfordert, muss die Armee auch unter besonders erschwerten Bedingungen zum Angriff übergehen.“ - Chef bemerkt dazu: Für den Angriffsbeginn entscheidend ist dermalen ausschließlich das Wetter und die Bodengangbarkeit, ersteres in doppelter Hinsicht, nämlich bezüglich Einfluss auf die Gangbarkeit (Schnee) und Artilleriewirkung, welch letztere für das Gelingen des Angriffes ausschlaggebend ist. Das Heeresgruppenkommando stimmt natürlich den Ausführungen der 11. Armee, die durch ein wenig beweiskräftiges Beilagenmaterial belegt sind, bei, erwähnt sogar, dass bei der Truppe und der unteren Führung der Wunsch nach baldigem Angriffsbeginn lebendig wird und bittet schließlich den vom 11. AK. in Aussicht genommenen Zeitpunkt in Geltung zu belassen. Per Hughes lässt Exzellenz Krauss noch sagen, wenn das AOK nicht die Entschlussfassung den an Ort und Stelle befindlichen und zur Durchführung berufenen Kommandanten überlassen will oder kann, so möge es sich selbst die für den Entschluss nötigen Grundlagen durch persönliche Anwesenheit des Chefs des Generalstabes oder durch Entsendung eines Vertrauensmannes an Ort und Stelle verschaffen. Chef lehnt dies in sehr kluger Antwort ab; auch ich bin der Anschauung, die oberste Führung muss mit dem geistigen Auge sehen, womit nicht gesagt sein soll, dass es nicht von Vorteil wäre, statt in Teschen in Bozen zu sein. Nach längerer, sehr gründlicher Besprechung mit Metzger wird folgende Antwort angenommen: „ Beim Entschluss zum Angriffsbeginn muss als sicher festgehalten werden, dass jeder Tag Verzögerung ein Nachteil für uns und ein Vorteil für den bereits gut unterrichteten Feind ist. Allgemeine Lage fordert gleichfalls baldigen Beginn, aber auch erfolgreiche Durchführung (des Angriffes, da alles auf diese Karte gesetzt ist. Innerhalb dieser Grenzen ist der Angriffsbeginn zu bestimmen, sobald es die Schneeverhältnisse irgend (dieses Wörtchen kostete schweren Kampf!) gestatten. - Ich glaube, diese Erledigung ist einwandfrei; vielleicht allerdings wäre die kühnere eines direktiven Befehles zum Beginn des Angriffes vorzuziehen gewesen; denn gestern schon brachte der Secolo anschließend an den Cadornabericht eine Darlegung, dass die italienische Heeresleitung vollkommen bis in die geringsten Einzelheiten über bevorstehende österreichisch-ungarische Offensive unterrichtet sei und gegen sie alle Maßnahmen getroffen habe. „200.000 Feinde seien im östlichen Trentino angesammelt und teils rittlings vom Val Sugana, teils in Reserve bei Trient und Bozen aufgestellt. Viel Artillerie sei bereits zur Unterstützung der Offensive in Position gebracht. Erzherzog Thronfolger inspiziere und kontrolliere. Die gegenwärtig in Trient gewählte Offensivfront reiche von Stellungen nördlich Val Sugana, etwas von Zone Colomento bis Valle Terragnolo. Auf dieser Front hat Feind wirksame Unterstützung befestigter Stellungen, welche ununterbrochen etwa 35 km von Bailon bis zum Dosso del Sommo hinziehen. Feind wird wahrscheinlich zuerst das Frontstück südlich des Brentatales zu forcieren suchen, um auf der Hochebene von Asiago Fuß zu fassen und solchermaßen die Rücknahme der italienischen Truppen im Val Sugana zu erzwingen. - Mittagsresümee (Auszug): Bei Riva an Ostfront lebhafte eigene Artillerie Tätigkeit. Im Suganer Abschnitt starkes italienisches Geschütz - und Minenwerferfeuer gegen Valcanai und Raum nördlich davon. - Am Col di Lana feindlicher Angriff auf Gratstützpunkt abgewiesen. - Die Kämpfe am Südwestrand der Hochfläche von Doberdó sind noch nicht abgeschlossen. Auf der Höhe östlich Selz drangen die Italiener in einer Ausdehnung von 120 Schritt in unsere Stellung ein, östlich Monfalcone erlitten sie große Verluste. - Überall starke Niederschläge, auf den Hochflächen jedoch früh Regen. Nach Aussagen der schon gestern erwähnten Deserteure soll die Brigade Catanzaro (XIV) „nach Carmien oder ins Trentino“ abgehen. Abends von der Tiroler Front nur die Nachricht von miserablem Wetter; auf den Hochflächen wieder 20 - 80 cm Neuschnee, geringe Gefechtstätigkeit; nur 4 Angriffe auf Gratstellung am Col di Lana abgewiesen. - An der Südwestfront des Doberdóplateaus scheint italienischer Angriff an Ausdehnung zuzunehmen. Schweres Artilleriefeuer gegen mehrere Punkte; ein Vorbrechen aus dem eroberten Frontstück wurde abgewiesen. Habe übrigens heute schon das Konzept für den Abtransport der am 27. früh von Brod zur 5. Armee abrollenden 24.GBrig. gemacht, die wenn möglich zum Ablösen von Truppen (9.ITD) zu verwenden sein wird. Abends komme ich auf die Idee zu Täuschungszweck ein angestammtes Bataillon des III. Korps an die Isonzofront fahren zu lassen; dies wird angenommen. - Auf das heutige Hughesgespräch zwischen mir und Salis antwortet Conrad an Krauss auch noch schriftlich. Er sagt in diesem Schreiben, dass anfänglich beabsichtigt war, die für die Offensive bestimmten Streitkräfte unter Befehl des AOK zu stellen, die 5. und 10. Armee aber dem Heeresgruppenkommando unterzuordnen. Nur um dessen Wirkungskreis nicht einzuschränken, wurde ihm die Auszeichnung zugewendet, die Aktion aus Tirol selbst zu führen; dabei war und ist sowohl in das Heeresgruppenkommando als auch in die demselben unterstehenden Armeekommandos das volle Vertrauen gesetzt. AOK müßte aber genaue Orientierung über Absichten, Auffassungen und einflussnehmende Verhältnisse verlangen, da diese grundentscheidende Operation auch in Zusammenhang mit der allgemeinen Lage und der Situation auf den übrigen Kriegsschauplätzen zu bringen ist. Der Hinweis auf General Falkenhayn und eine analoge Reise des Chefs oder eines Vertrauensmannes veranlassen den Chef noch zu eröffnen: „AOK trägt die volle große Verantwortung für den Entschluss und die Anordnung zu dieser Offensive, sowie für die personelle und materielle Vorbereitung derselben. Sollte aber beim Heeresgruppenkommando die Notwendigkeit empfunden werden, dass das AOK auch die Verantwortung für den an Ort und Stelle zu beurteilenden Beginn des Angriffes auf sich nimmt, so wäre dies zu melden, welchen Falles ich mich nach Südtirol begeben würde, falls nicht Seine k.u.k.Hoheit der Armeeoberkommandant selbst sich dorthin begeben sollte.“ - Ich finde, dass Chef mit dieser Antwort sehr Recht hat. Noch nie gab man einem Führer ein solches Instrument in die Hand; und so miserabel wird es gebraucht - siehe den unsinnigen Angriff der 18.ITD, und so wenig Verantwortungsfreudigkeit zeigen die berühmten Männer!

X
Tablet drehen