Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
21.04.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
21.4.1916

Mittagsresümee: Heftiges Artilleriefeuer gegen unsere Stellung zwischen Rocchetta und Sperone; ein feindlicher Angriff westlich Sperone abgewiesen. Weitere Aktionen der Italiener in diesem Raum dürften bevorstehen. Im Suganaabschnitt griffen schwache italienische Abteilungen gestern nachmittags unsere Stellungen südöstlich des M.Carbonile erfolglos an. Heute früh begann unser Artilleriefeuer zur Vorbereitung eines Infanterieangriffes auf die feindlichen Stellungen bei Votto. Im Col di Lana-Raum setzte heute um 2h vm nach äußerst starker Artillerievorbereitung ein allgemeiner feindlicher Angriff auf unsere Stellungen von Lasta bis Settsass (5 – 6000 Schritt Front) ein. Nach erbittertem Handgemenge gelang es den Italienern, die Rothschanze (Stützpunkt westlich des Gipfels) und den neu errichteten Gratstützpunkt (nordwestlich des Gipfels) zu nehmen. Angriffe auf die übrigen Stellungen unter schwersten Verlusten des Feindes abgewiesen. Nunmehr ist der vorspringende Teil der Col di Lana-Stellung von uns geräumt; unsere Hauptstellung verläuft jetzt vom Monte Sief gegen Westen zur Dankl-Stellung. – Sonst, von einem Fliegerangriff auf Triest abgesehen, nichts Neues. (Diesen nütze ich im Pressebericht aus, um zu erklären, dass der Feind nun jede Schonung seiner Städte verwirkt hat.). - Wegen der Col di Lana-Sache schlage ich folgende Antwort auf die Beurteilung der Lage durch das Heeresgruppenkommando vor: „AOK. stimmt der Beurteilung des Heeresgruppenkommandos - auch nach Kenntnis der heute vormittags gemeldeten Lage - im allgemeinen bei. Örtliche Erfolge des Gegners und Prestigerücksichten haben Führung im Grunde nicht zu beeinflussen. (Es fällt jedoch auf, dass der Feind in dem über 2000 m hoch liegenden Col di Lana-Gebiet stärkere Angriffe mit Erfolg zu führen vermag, während unsererseits die Schwierigkeiten im Abschnitt der 11. Armee noch für unüberwindlich erachtet werden.) Diesen Satz ersetzt General durch folgenden: „Dem HGK muss es aber anheimgestellt bleiben, im Rahmen der gesamten Kräfte der Heeresgruppe dahin zu wirken, dass nicht abseits des eigenen Angriffsraumes Ereignisse eintreten, welche in ihren Folgen den aufgeschobenen Hauptangriff ungünstig beeinflussen.“

Die Col di Lana-Sache ist den - mit Respekt zu sagen – „Scheißern“ in Wien schon wieder in die Glieder gefahren; Wiesner erzählt mir mit einem Leichenbittergesicht, dass man dort stark impressioniert sei, und sogar bei dem gestrigen Communiqué den Verdacht geäußert hat, es handle sich auch bei unseren „neuen“ Stellungen im Suganerabschnitt um „rückwärtige“ Stellungen! Die Leute wollen ewig nicht verstehen, was für eine Kraft dazu gehört, die Wahrheit zu sagen. Übrigens sind, wie ich einigen Äußerungen Metzgers und Kundmanns entnehme, schon wieder Hintertürpolitiker am Werk; Bolfras hat dem Chef wegen dem Col di Lana schon einen Brief geschrieben! - Die von mir beabsichtigte Anfrage wegen der Schneeverhältnisse auch in diesem Gebiet ergeht nun getrennt an LVK, nicht ohne die Bemerkung, dass in diesem Raum stärkere italienische Kräfte angreifen. General ist der Auffassung, man wird die Leute unten nicht zum Losgehen zwingen können, wenn sie einmal nicht das Herz selbst aufbringen; offenbar haben sie eben unter den gegebenen Verhältnissen nicht das volle Vertrauen in ihre Instrumente. Dass den letzteren nicht mehr besondere Angriffslust innewohnt, ist begreiflich; man kommt aber um die Sache einmal nicht herum; daher besser früher als später! - Auch die abverlangte Meldung über Schneeverhältnisse im Angriffsraum der 18.ITD (Höhen nördlich der Sugana) zeigt, dass man unten nicht will. Dies zu bekräftigen, muss natürlich auch die einseitig gedrechselte Beurteilung der Situation des Feindes herhalten. (Der Bericht des Heeresgruppenkommandos besagt im Wesentlichen: a) Über Schneeverhältnisse beim Angriff der 18.ITD: Angriffsraum des nördlichen Flügels entspricht nach Höhenlage annähernd jenem des XX.Korps, hat aber, weil sonnseitig und im allgemeinen flach abgedacht, leichtere Verhältnisse. Trotzdem Vorstoß der 18.ITD. von Haus aus nach vorwärts begrenzt war; hatte er dennoch auf dieser kurzen Strecke ganz bedeutende Schwierigkeiten zu überwinden. Näheres hierüber enthält der Bericht. Gerade die Erfahrungen bei der 18.ITD. waren sehr maßgebend für Gesamturteil. - b) Beurteilung der feindlichen Situation: Festgestellt vor 11. Armee 62, vor LVK 99, vor 10. Armee 75, vor 5. Armee 213, in Albanien 34 Bataillone; fraglich 168 Baone. (von diesen höchstens 66 Bataillone hinter den vor der 11. Armee festgestellten Kräften). Gesamteindruck, dass Feind im Allgemeinen auf unsere Offensive gefasst, aber über Richtung noch nicht ganz klar ist, daher augenblicklich abwartet und überall seine Stellungen verstärkt. Die heftigen Angriffe bei Riva und in Dolomitenfront dürften darauf zurückzuführen sein, dass Feind von schwacher Besetzung dortiger Stellungen erfahren hat und günstige Gelegenheit rasch ausnützen will. Wenn jetzt Angriff 11. Armee erfolgt, der unter den augenblicklichen Verhältnissen nur langsam und unter großen Opfern fortschreiten könnte, so hat Feind Möglichkeit, ohne eine von einer anderen Armeefront festgestellte Einheit abzuziehen, alle „fraglichen“ Bataillone gegen Südtirol heranzuziehen. Eisenbahnverhältnisse gestatten diese Verschiebung binnen weniger Tage, jedenfalls bedeutend rascher, als 11. Armee unter jetzigen Verhältnissen die Gebirgszonen zu überwinden vermöchte. Etwas anders liegen die Verhältnisse bezüglich Verstärkung der schweren Artillerie vor 11. Armee; eine solche braucht ziemlich viel Zeit, doch würde Feind, um in dieser Hinsicht etwas Beträchtliches zustande bringen zu können, für Monate auf eine Offensive an Isonzofront verzichten müssen. Wird mit Offensive der 11. Armee zugewartet, so ist nicht nur deren rascheres Fortschreiten zu erwarten, sondern es ist auch möglich, dass feindliche Aufmerksamkeit hinsichtlich Südtirol inzwischen nachlässt und Feind sich zur Verschiebung von Reserven in andere Richtung (zum Beispiel Dolomiten-Front) verleiten lässt. Vielleicht tritt sogar der günstigste Fall ein, dass Feind Offensive gegen 5. Armee aufnimmt, da er ja laut Zeitungen von deren Schwächung Kenntnis hat. - Alles in allem erblickt das Heeresgruppenkommando in feindlicher Situation keinen zwingenden Grund zu sofortigem Angriffsbeginn und bittet dringend, morgen beim AOK. eintreffenden schriftlichen Bericht und Antrag zu berücksichtigen. Weitere Maßnahmen zur Täuschung und Verwirrung beim Feind wären für die nächsten Tage von großem Vorteil. Hiezu sagt mein Referat: Das XX. Korps wird über die Hochfläche von Folgaria anzugreifen haben, die nach Schneeverhältnissen der schwierigste Teil des Angriffsraumes ist. Die Schwierigkeiten beim Vorstoß der 18.ITD. dürften kaum in den Schneeverhältnissen allein gelegen sein; vielmehr scheint dieser Vorstoß von der Führung doch nicht klar begrenzt gewesen zu sein, da zumindestens Teile der Angriffsgruppe (von Tezzel) bis an die feindliche Hauptstellung durchgingen. Über diese Verhältnisse soll der morgen eintreffende Bericht Aufschluss geben; jedenfalls geht aber schon aus dem vorliegenden Telegramm mit voller Deutlichkeit hervor, dass das Heeresgruppenkommando und das 11. AK. derzeit kein Vertrauen in den Erfolg eines Angriffes haben. - Der Gesamteindruck, dass der Feind im Allgemeinen auf unsere Offensive gefasst, aber über ihre Richtung noch nicht ganz im Klaren ist, besteht auch beim AOK. - Aber ob er wirklich augenblicklich noch abwartet, ist sehr die Frage; voraussetzen darf man es von ihm nicht mehr, da er über die Versammlung stärkerer Kräfte und über den Artillerieaufmarsch, über letzteren besonders seit dem Verrat Vajas, kaum im Zweifel sein kann. Die in erster Linie stehende Division und besonders die beim Angriff der 18. ITD. gemachten Gefangenen dürften ihm trotz aller Täuschungsmaßnahmen auch über die Zusammensetzung der 11. Armee gute Daten geliefert haben. Übrigens urteilt das HGK. selbst, dass die Italiener von der Schwächung der Dolomiten Front und jener bei Riva Kenntnis haben. - Nicht unwesentlich ist es, dass durch den Zeitgewinn die Widerstandskraft der feindlichen Stellungen beträchtlich erhöht wird. - Die Schnelligkeit der feindlichen Eisenbahnbewegung dürfte überschätzt sein; hiefür liefert die Zeitdauer der Versammlung der Heeresgruppe die besten Anhaltspunkte. Wohl haben die Italiener 2 Bahnlinien für große Verschiebungen. Ihre Bewegungen werden aber unter dem Drang der Verhältnisse stehen, daher größeren Reibungen unterworfen sein; übrigens liegen die leistungsfähigen Bahnhöfe etwa 40 km von der Front, was insbesonders für die Artillerie und die Versorgung eine Rolle spielt. Die Schlüsse, die aus einer Verzögerung des Angriffsbeginnes gewisse Vorteile ableiten, sind auf der Grundlage feindlicher Fehler aufgebaut, die man jetzt nach der ganzen Situation nicht mehr voraussetzen darf. Vor allem ist eine italienische Offensive an der Isonzofront unwahrscheinlich, da die dortige doppelte Überlegenheit des Feindes, dessen Maßnahmen übrigens an dieser Front durchaus auf die Abwehr gerichtet sind, nach allen seinen Erfahrungen nicht ausreicht. Ein Nachlassen der feindlichen Aufmerksamkeit auf Südtirol kann erhofft, aber nicht erwartet werden. Dass mit rascherem Fortschreiten des Angriffes, wie es nach Besserung der Schneeverhältnisse erwartet wird, die Gefahr des rechtzeitigen Eingreifens feindlicher Verstärkungen geringer wird, mag für jene Verstärkungen zutreffen, die erst herangebracht werden müssen. Einfacher gedacht scheint es, dass jeder Tag und nun gar jede Woche des Zuwartens dem Feind Zeit gibt, die volle Ruhe für seine Entschlüsse und deren Durchführung wieder zu gewinnen, die Widerstandskraft der Angriffsfront, sei es in der vorderen oder einer rückwärtigen Linie, durch Heranführung neuer Verbände in diese Front, durch Artillerie und technische Mittel zu erhöhen und so schließlich die unsererseits erzielte örtliche Überlegenheit (jetzt etwa 11. und 3. Armee 195 Bataillone gegen 62 + 66 = 128 Bataillone) vollends auszugleichen. - Nach Abendmeldung machen die neuen Kämpfe bei Votto keinen guten Eindruck. Unsere Infanterie kämpft dort mühsam, ohne Artillerieunterstützung, um einen feindlichen Stützpunkt. Ich bemerke auch dazu: Die bisherigen Ereignisse im Suganer Abschnitt machen den Eindruck, dass dem Angriff der 18. ITD., der gegen mindestens ebenbürtigen Feind geführt wird, Kraft und Artillerieunterstützung fehlen. - Am Col di Lana Ruhe. - Beim Abendrapport spreche ich mit Metzger über die Lage und sage neuerdings, dass es unter Umständen, natürlich nach Kenntnis des morgen eintreffenden Berichtes, notwendig werden kann, dass das AOK. die Verantwortung auf sich nimmt, den Angriff anzuordnen. Weiß Gott, was für Einflüsse und Bedenken unten noch mitspielen! Will man vielleicht den Erzherzog Karl nicht den Gefahren schwieriger Verhältnisse seines Korps aussetzen? Welche Hintertürln und Hintertreppen mögen da nach Wien führen! Dabei lügt alles, wie gedruckt... - Schwere Zeiten; aber sie werden überwunden werden wie alles Bisherige.

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