Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
03.09.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
3.9.1915

Heute früh lese ich eine sehr interessante Zuschrift Falkenhayns, die 2 Dinge bespricht: Die serbische Sache und die weiteren Operationen gegen Russland. - Falkenhayn glaubt zwar noch, dass die Militärkonvention abgeschlossen werden wird, rechnet aber, auch schon mit den beiden anderen Fällen: a), dass Bulgarien die Konvention nicht abschließt, aber den freien Durchzug der Munition für die Türkei gestattet; b), dass es auch diesen Durchzug nicht gestattet. Im Falle a) gedenkt Falkenhayn 12 statt 6 deutsche Divisionen gegen Serbien zu verwenden, die dann die Save - Donau zu überschreiten hätten, während unser Kontingent aus der Mačva und über die Drina zu operieren hätte: Also der bekannte große B-Aufmarsch. Im Falle b) aber „wäre der Krieg gegen Serbien nicht möglich“. (Conrad bemerkt hier richtig: „Möglich wäre er schon, nur hätte er keinen Zweck“). Immerhin ist es sehr bemerkenswert, dass sich hier zum ersten Mal ein Zweifel an der serbischen Operation ausspricht. Ebenso bezeichnend ist die Auffassung über die weitere Operation gegen Russland. Falkenhayn meint, die Dauerverteidigungslinie - Südende des Rigaer Busens, Kowno, Grodno, Brest - Ucherka Mündung - Bug. Daran vermöchte weder die Tatsache etwas zu ändern, dass unsere Truppen im Vordringen auf Rowno, noch, dass die Deutschen gegen Pinsk vorgehen. Erst wenn die Linie Pinsk – Baranowiczi - Rigaer Busen erreicht sein sollte, käme sie in Betracht, weil sie nicht mehr Truppen braucht als die rückwärtige und auch sehr gut ist. Ich erblicke in dieser Argumentation einen strategischen Fehler. Entweder die vordere oder die rückwärtige! Nimmt man die vordere so heißt es, mit allen Kräften darauf los. Nimmt man die rückwärtige, so heißt es mit den Hauptkräften stehen bleiben und sich eingraben, nicht aber weiterrennen, wo man dann doch zurück muss. -

In der bulgarischen Sache - glaubt Falkenhayn dürften die nächsten Tage die Entscheidung bringen. Ich glaube das nicht. Bulgarien wird sich auch weiterhin ziehen wie ein Strudelteig. Auch im Falle des Zustandekommens der Militärkonvention würde Bulgarien (so glaube ich), wenn wir losgehen, seine Bande lösen, wenn wir die Serben geschlagen haben, einmarschieren; hätten wir den Erfolg jedoch nicht, so würde es sich wahrscheinlich nicht rühren. - Jedenfalls zeigt dieses Schriftstück zum ersten Mal eine gewisse Unsicherheit; man weiß nicht recht, was man will; gründliche Aussprache wäre dringend und sofort nötig.

Vom Standpunkt des Italienkrieges muss man nun doch wieder mehr daran denken, dass etwas Größeres kommen könnte; obwohl ich es, wenn die serbische Sache nicht zustande kommt, eigentlich für das Richtigere hielte, mit ganzen verbündeten Kräften nach Frankreich zu gehen. -

Abends kommt ein Telegramm Falkenhayns über die Haltung Bulgariens: Gantscheff drahtet beiläufig: Zufolge der unbestimmten Haltung Rumäniens wird Bulgarien an der rumänischen Grenze stärkere Kräfte stehen lassen müssen; es könne daher an der Offensive gegen die serbische nicht mit 6, sondern nur mit 4 Divisionen (zu je 30.000 Mann!) teilnehmen. - Eine weitere Division und eine Bandendivision wird in Mazedonien einfallen. Falkenhayn sagt, er bleibe bei der serbischen Operation und werde einfach mehr deutsche Divisionen schicken. Conrad ist damit einverstanden. - Vor Rowno wird fortgewurstelt. Roth zeigt seine vollständige Unfähigkeit als höherer Führer. Heute bekommt die 2.ITD eine aufs Dach, weil sie allein wieder eine Kote angreift. Mittlerweile waggonieren die Russen fröhlich neue Kräfte aus!

Und es gibt doch nur 2 Lösungen: Entweder man setzt die ganze Kraft zu einem, von der Artillerie stark vorzubereitenden Angriff an, oder man operiert, weit nördlich ausgreifend durch die Polesie. Nichts von alledem. Roth bekommt noch eine Division unterstellt, eine behält sich das 4. A.K. als Armeereserve zurück. - Diese ganze Operation gehört zu dem Schandvollsten, was wir an Führung geleistet haben. Eine Armee lässt sich zu 2 Reichswehrbrigaden aufhalten und wurstelt so lange herum, bis wirklich stärkerer Feind da ist.

Italien nichts Neues.

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