Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
23.09.1915
Wählen Sie aus:
Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
23.9.1915

Wie zu erwarten war, erfolgte der Angriff auf den Lucker Brückenkopf. Das XIV. Korps wurde durchbrochen, der Rückzug anscheinend zu spät angeordnet; der Feind drängte scharf nach und nahm gleich eine Brücke! Jedenfalls wieder sehr große Verluste. Linsingen hatte übrigens das 4.AK. ermächtigt, den Brückenkopf aufzugeben. Unsere Führer können aber gar nichts; nicht einmal rechtzeitig abfahren. (Was übrigens eine der schwersten Sachen ist!). Nun natürlich wieder verzweifelte Stimmung. Kageneck kommt schon früh sich ausjammern. Ich tröste ihn; sage, dass strategisch noch nichts geschehen sei, gebe aber zu, dass unsere Verluste geradezu schauderhaft, ein Großteil unserer Generale unfähig sind. Es gelte eben, jetzt endlich die Konsequenzen zu ziehen: Ablösung der unfähigen Führer, Zurücknahme der meist hergenommenen Verbände zur Ausbildung und Disziplinierung. - Kageneck sagt mir überdies streng vertraulich, dass Falkenhayn nach Frankreich gefahren sei.

Mittags sehe ich einen Rapport des Obersten Lustig über die Absichten der deutschen Banat - Armee. Die 3 Korps werden, jedes für sich, aber in ziemlich schmaler Front unter Ausnützung der Inseln zwischen Semendria und Bazias übergehen. Die Ziele sind vernünftigerweise vorerst eng gesteckt: Die Höhen und Ortschaften des anderen Ufers.

Mittags: In Tirol zeigt der Feind im Allgemeinen mehr Rührigkeit als gewöhnlich. Die Besatzung des Coston, von vielfacher Überlegenheit angegriffen und fast umschlossen, räumte heute nachts ihre Stellung und kam beim Rückzug in ein Gefecht, dessen Einzelheiten noch nicht bekannt sind. Gestern wurden 6 Kompanien zur Befreiung dieser Truppe eingesetzt. Die eigene Stellung verläuft aber noch immer vorm Durer. Im Großen und Ganzen war der Coston eine schöne Episode. Auch im Dolomitengebiet häufig Feuer. Gesamteindruck: Der Feind will noch vor dem Winter zum mindestens unsere vorgeschobenen Stellungen nehmen. -

Gegen Abend: Die 4. Armee konnte sich auch am Westufer des Styr bei Luck nicht behaupten. Der Feind drängte über die so leicht genommene Brücke und weiter nach. Das Armee Kommando ruft nun 3 Divisionen aus allen Weltgegenden (darunter eine, die zufolge des Befehls Linsingens hinter dem linken Flügel steht) zu einem sogenannten „konzentrischen Gegenangriff“, über welchen das AK. wahrscheinlich selbst keine Vorstellung hat, zusammen. Linsingen selbst ist nicht zur Stelle; um 4h erst mit seinem engeren Stab in Kowel eingetroffen, weil die Wege so miserabel sind. Die Leitung funktionierte aber nicht in diesem kritischen Moment. Trotzdem sage ich: Hier heißt es kaltes Blut bewahren; das AOK. kann nicht eingreifen, weil es die Lage noch nicht viel besser übersieht als das Armee Kommando. Das XIV. Korps scheint nun ganz zerdroschen zu sein. Trotzdem fragt man erst an ob Roth noch lebensfähig ist. -- Der gehört schon mitsamt seinem Stabschef längst „in die Würscht“. - Kageneck ist ganz verzweifelt, sieht die schwersten Folgen für die Gesamtlage. Bedauerlich ist ja die Abwesenheit Falkenhayns, die angeblich mit einer drohenden Offensive sehr starker Kräfte im Westen zusammenhängen soll. Der Befehl wegen Roth enthält auch sonst eine Menge Phrasen; immer Papier und kein Handeln. Von uns gehört schon längst jemand hinaus; und selbst beute wäre es in gewissem Sinne nicht zu spät. Der Chef sollte einmal selbst fahren! Jetzt ginge es doch! - Hindenburg trachtet nun die eingekeilten russischen Armeen von Osten und Südosten her kräftig zu drängen, während seine nach Süden gerichtete Front hält. Hinter dieser wird konsequent weiter nach links verschoben. Der kann's halt doch noch am allerbesten. -

Heute läuft der 4. Kriegsmonat gegen Italien ab; natürlich kommt im Communiqué wieder einer der allmonatlichen boshaften Schlussätze. Diesmal sagen wir, dass sich die Italiener in diesem Monat zu keiner Gefechtshandlung großen Stiles mehr aufrafften, dass aber mehrere Angriffe mit Truppen bis zur Stärke mehrerer Infanterie Divisionen stattfanden. „Alles vergebens. Unsere Front steht fester denn je.“

X
Tablet drehen