Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
19.09.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
19.9.1915

Schon um 7 Uhr Früh gehe ich nachschauen und höre zu meiner größten Freude, dass Wilna genommen ist. Die Deutschen sind schon ein gutes Stück über die Stadt hinaus gerückt und am linken Flügel, wo der Russe eine neue starke Front zu bilden sucht, wird mit Gewaltmärschen immer mehr herum gegriffen. Das heißt Krieg führen! Natürlich fehlt es nicht an Kritikern: Slamecka und Kageneck, mit dem ich wieder eine Debatte wegen meines Optimismus habe. - An das 4. Armeekommando ergeht die Aufforderung über den Zustand der Armee und über die Auffassung der Lage ungeschminkt zu berichten, natürlich auch Generalstabsoffizier nach vorne zu senden! Spät, zu spät. Und das Oberkommando muss sich selbst bei der Nase nehmen; von uns hätte schon vor einer Woche, ja vor zwei Wochen jemand nach Luck gehört. Nach der Zustimmung Falkenhayns, dass unser OK die Befehle an Linsingen erteilt und, dass sein Auftrag zu lauten hat, er habe das weitere Vordringen des Nordflügels der russischen Streitkräfte südlich des Pripjatj zu verhindern, ergeht von Linsingen ein Befehl an die 4. Armee. Er sagt der Armee zuerst, welche Streitkräfte der Russen sie gegenüber hat, betont, dass diese Streitkräfte schon geschlagen wurden und daher keine Widerstandskraft mehr haben, ermahnt zu Selbstvertrauen der Truppe und der Führer und gibt seine Absicht bekannt, den rechten Flügel des Feindes anzugreifen. Hiezu will Linsingen die deutschen Divisionen in starken Märschen nach Süden vorführen; die 4. Armee habe zu seiner Verfügung 3 Divisionen hinter ihrem linken Flügel bereitzustellen. Sie meldete alsbald, dass dies nur möglich sei, wenn ihr das XVII. Korps unterstellt werde; dies geschieht hierauf. Bei Luck bezieht die Armee eine brückenkopfartige Stellung, etwa 20 km ausgedehnt, von 4 Divisionen besetzt. Die Divisionen haben sehr schlechte Stände; trotz Einreihung der Marschbataillone im allgemeinen 6 - 7000 Mann. Verlässlicher Nachricht zufolge greift der Russe an; trotzdem glaube ich, dass Linsingen Recht behalten wird mit seiner Auffassung, dass die ganze russische Operation nur einer jener lokalen Stöße ist, die den Zweck haben, den ganzen Rückzug zu verschleiern und zu decken.

Auf dem südwestlichen Kriegsschauplatze nur Erfreuliches: Der Angriff bei Flitsch scheint endgültig und mit sehr großem Verlust der Italiener abgeschlagen zu sein. Sonst keine wesentlichen Ereignisse. Verfasse einen Befehl, dass uns das Kommando Südwest über klimatische Verhältnisse, Wegsamkeit und Gangbarkeit des südwestlichen Kriegsschauplatzes von nun an stets zu unterrichten hat. Man weiß ja nicht: Es kann jeden Augenblick losgehen, da die politischen Entwicklungen und die militärischen Entwicklungen auf dem Balkan nicht abzusehen sind. Vielleicht spielen die Serben nicht mit; wer weiß auch, wie Wilna in Russland wirken wird.

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