Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
18.09.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
18.9.1915

Heute früh liegt ein höchst interessantes Telegramm Ludendorffs an Conrad vor. Er sagt beiläufig: Die Russen sind auf der ganzen Front zwischen Wilija und Pripjatj am Rückzug. Durch rücksichtslose Verfolgung lässt sich die Entscheidung des Feldzuges erzwingen. Daher bitte, die beiden deutschen Divisionen nicht zur Armee Josef Ferdinands verschieben, sondern für die Verfolgung einzusetzen, um herumgreifend von Nordost oder Südost her den zurückweichenden Gegner zu fassen. (Ich habe den Eindruck, dass Ludendorff wohl strategisch Recht hat, dass es für unsere wenig widerstandsfähige Armee besser ist, wenn die beiden deutschen Divisionen kommen und so die reinliche Scheidung wieder aufgehoben wird. - Falkenhayn fordert in einem Telegramm, dass die 2 Divisionen unter Linsingen (denen zunächst noch eine Kavalleriedivision folgen soll) von der deutschen Heeresleitung den Befehl erhalten, das Vordringen der Russen gegen den linken österreichischen Heeresflügel zu verhindern, um dadurch den Rückzug dieses Flügels zum Stehen zu bringen. (Wörtlich ist dies nicht, aber dem Sinn nach!) Conrad stimmt nicht zu und verzichtet unter diesen Umständen auf beide Divisionen. - Der Auftrag Falkenhayns ist zweifellos richtig, sein zweiter Satz aber unnötig und verletzend. Falkenhayn hat auch ganz Recht, wenn er betont, es gehe nicht an, dem Führer einfach zu sagen, er habe den Feind zu schlagen. „So weit sind wir noch nicht“. Der Führer müsse sich zuerst über die Lage unterrichten, müsse die Truppe sehen! - Die tiefere Ursache des Falkenhaynschen Telegrammes liegt - so glaube ich – für uns im Dunkel. Vielleicht will man die beiden Divisionen Hindenburg verschaffen, der vermutlich auf Ausnützung seines Erfolges drängen wird. Zweifellos bestehen erhebliche Differenzen zwischen Hindenburg und Falkenhayn, die zum Teil auch darin begründet sein mögen, dass ersterer die Lage im Großen (ich meine damit die militärische Entwicklung auf dem Balkan) nicht begreift. Es ist vorläufig auch noch nicht ganz klar, ob sich Falkenhayn mit der Behauptung der Front Riga - Pinsk begnügen wird oder ob er nicht wird weitergehen wollen. Hindenburg. dürfte jedenfalls auf dieses letztere hindrängen und das Ziel, „Vernichtung des Hauptfeindes“ in erster Linie stellen. - Die Antwort Falkenhayns ist entgegenkommend: Der Klügere gibt nach. Linsingen wird das Kommando über eine Heeresgruppe führen, die aus seinen Divisionen und der 4. Armee bestehen wird. Die 1. Armee wurde der 2. unterstellt. Es hat den Anschein, als ob der Erzherzog bleiben würde, auch Paić rührt sich vorläufig nicht. Berndt meldete, dass er an Venenentzündung leide, wurde aber trotzdem zur Befolgung des Befehles angewiesen. Zur Lage im großen auf dem nördlichen Kriegsschauplatz kann man nur sagen: In den nächsten Tagen muss der große deutsche Erfolg bei Wilna kommen; dann ist alles eingerichtet. Hindenburg zeigt sich dort wieder als der ganz große Meister des großen Krieges. Immer wieder greifen neue Divisionen weiter und weiter westwärts herum. Wer weiß, ob man nun stehen bleiben wird können oder ob Deutschland nicht eine Offensive an 2 Fronten führen wird…

Nun aber zu meinem Kriegsfall Italien: Heute abends genehmigen die Oberen auf mein Drängen bei Metzger das Konzept über die Zurückdrängung des italienischen Elementes in Südtirol. Wenn das geschickt angepackt wird, ist es eine ganz große Sache. Und das Eis ist gebrochen: Die Deutschen voran! - An militärischen Ereignissen nichts Aufregendes: Der italienische Angriff auf Flitsch scheint schon abzuflauen. Die Katzelmacher haben dort sehr schwere Verluste; auch gegen 400 Gefangene wurden von uns eingebracht. Gegen Vielgereuth scheint sich ein neuer Angriff vorzubereiten. Sie sollen nur kommen!

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