Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
16.09.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
16.9.1915

Gestern schon sagte mir Kageneck, dass unsere Niederlagen in Ostgalizien von übelster Wirkung auf die Bulgaren und Rumänen seien und, dass daher auch in Pless furchtbar geschimpft wird. Heute früh gibt er wieder seinem gewiss berechtigten Befremden Ausdruck, dass wegen der schlimmen Führung der 4. Armee nichts geschieht. Dort ist eben ein Hofmilieu! Kein einziger Mann! Lauter brave Zöglinge und eitle Schranzen!

Die Mittagsmeldung über den Südwesten enthält kein Ereignis von Belang; dafür die erfreuliche Tatsache, dass die Deckungen auf der Hochfläche von Doberdò bereits für kniende und stehende Schützen in den Fels vertieft sind. Tatsächlich sind auch die Verluste bereits viel geringer.

Die Vormittagsmeldung dem 4. Armee klingt sehr unklar und unsicher. Man kennt ihr deutlich die Umgehungsfurcht an, ohne, dass sich Paić zu einer energischen Maßnahme gegen diese Umgehung aufraffen könnte! Zu Mittag bespreche ich die Lage mit Christo. und sage ihm, dass es nach meiner Auffassung Zeit wäre, eine Division von Süden her nach Luck in Marsch zu setzen, eventuell eine zweite vom Erzherzog, statt, dass er fortwährend dicht hinter der Front herum verschiebt, was die Truppe mehr als großen Marsch ermüdete! Hat man einmal bei Luck stärkere Kräfte (und zwar bis morgen abends!), so kann nichts mehr geschehen; es heißt dann nur Styr - abwärts rücken, und immer auf Straßen! Kurze Zeit, nachdem ich dies mit Christo besprach, referiert dieser dem General und es wird ein Befehl geboren, der zur Bereitstellung stärkerer Reserven auswärts des linken Flügels der Armee auffordert. Natürlich wieder in höchster Eile, ohne ruhige Überlegung; Paić wartet am Apparat. Ich erzähle ihm einiges vom Italienkrieg und muss der Versuchung widerstehen, auch über die Lage der 4. Armee und meine Auffassung zu sprechen. Dann gebe ich den Befehl ab. Es ist nicht der einzige; eine lange Sauce mit der Aufforderung, sich über das Geschehen zu äußern und mit den üblichen „Injektionen“… Alles das, statt einfach zu sagen: Bis morgen abends haben 2 Divisionen (wenigstens) in Luck zu stehen! Dann könnte man operieren… Der Russe ist ohnedies, ich sage das zum hundertsten Mal, ein charmanter Gegner, er drängt nicht nach (wo wären wir sonst!); aber allzu sehr darf man darauf nicht bauen, und vor allem muss man die wirkliche Freiheit des Handelns bewahren! - Dies ist aber nicht mit Worten (deren wichtigstes „aktiv“ ist) zu machen, sondern indem man selbst Kriegsgruppen bildet und dadurch die aus der Hand gekommene strategische Führung wieder gewinnt. -

GM. Boog ist auf der Durchreise. Ich spreche ihn nachmittags im Kaffeehaus. Er sagt, unten bestehe ein Gefühl unbedingter Sicherheit, und erzählt von seiner 93. ITD, deren Auflösung er sehr bedauert. Jeder Mann sei ein Held gewesen. Abends dürfte er noch in die I-Gruppe kommen.

Meine Ideen über die Führung bei der 4. Armee bringe ich nochmals vor; Christo. meint, er mahne schon seit einer Woche zur Verteidigung, könne aber nichts erreichen. -

Pinsk ist genommen, die Bug Armee frei; natürlich zur Verfügung der deutschen Heeresleitung. -

Die Abendmeldung I zeigt ernste Angriffsabsichten der Italiener auf den Raum von Flitsch; auch südlich Görz und gegen den nördlichen Plateauteil, geht anscheinend das lebhafte Artilleriefeuer wieder los. - Abends erzählt Boog in der I-Gruppe lange und recht interessant seine Erlebnisse und Erfahrungen. Was auch wir hier wissen: Die Hauptsache ist Ordnung und Rücksichtnahme auf die moralischen Faktoren; und dagegen wird am meisten gesündigt. Boog bestätigt, dass am Plateau früher eine helle Unordnung, ein vollständiges Durcheinandermengen der Verbände herrschte. Besonders leichtsinnig war der Einsatz der Marschbrigade Mitlacher, wovon das AOK. gar keine Kenntnis erhielt. Gegen Boroević ist Boog von einem unauslöschlichen Hass beseelt; er sagt auch dem Chef, mit diesem Mann könne er nicht an einem Tisch sein.

Pflanzer, hat natürlich eine aufs Dach. bekommen. Bei Tabajdis zwecklosem Angriff, dessen Zweck man nachträglich in einer Entlastung der Südarmee korrigieren will. Und ich prophezeie: morgen kommt ein Debakel bei der 4. Armee. Das XXX. Korps der Russen ist schon seit mehr als einer Woche avisiert, zu seinem Empfang geschieht aber nichts! 2 Divisionen nach Luck - das war noch heute früh die Lösung!

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