Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
20.10.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
20.10.1915

Früh Meldung bei Boroević- Vorher Gespräch mit Afan, der einige Überläufer und Gefangene verhört hat. Zunehmende Kriegsunlust auch bei den Unteroffizieren. In einigen Tagen soll eine attacco generale sein. Ein Überläufer sagte, jeden Tag sei attacco generale; die Generale sollen nur nach vorwärts kommen und mitschießen, dann würden sie sehen, was attacco generale heißt. Niemand glaubt mehr daran, durchdringen zu können; sei es bisher nicht gegangen, so sei es auch in Zukunft unmöglich! - Deckung auf Plateau schlecht. Nur kalte Kost. Keine Winterausrüstung, nur eine Decke, Montur sehr schlecht, Schuhe jetzt besser. - Meldung bei Boroević. Er sagt mir, ich möge nur in Teschen deutlich zum Ausdruck bringen, dass man hier den Befehl des AOK.; der die großen Verluste in der 2. Görzer Schlacht der Führung zuschreibt, bitter empfunden habe. Ich erwidere, das AOK. habe die Verdienste der Führung in dieser Schlacht voll anerkannt, was schon durch die Anträge auf spontane Auszeichnung der Führer bewiesen sei. Dem AOK. liege es ferne, in Einzelheiten einzugreifen; es wollte nur die Ursache der großen Verluste wissen; als diese Ursachen gemeldet waren, habe es alle Schreibereien und Untersuchungen durch Befehl sofort eingestellt. Boroević sagt, diese Schreibereien nehmen auch jetzt außerordentlichen Umfang an; so habe er sich jetzt schon wieder über den Bericht des XV. Korps bezüglich dessen schwieriger Lage punktweise zu äußern. Er habe diese Äußerung bis Ende Oktober abverlangt, wird sich aber vor derartigen Befehlen in Hinkunft dadurch schützen, dass er solche Berichte nicht weitergebe. Im Kriege müsse überhaupt gelogen werden. Er glaube nicht, was seine Unterkommandanten melden; die Unwahrheit beginne schon beim Kompaniekommandanten, der 20 Leute verliert und die Lage seiner Kompanie als unhaltbar hinstellt. Boroević sagt weiter, niemandem gehe der große Verlust so nahe wie ihm, sie seien aber schließlich verschwindend gegen jene in den Karpaten; da wie dort aber habe er den Grundsatz befolgt, nie zu alarmieren. Und das werde er auch in Hinkunft nicht tun; ja durch solche Befehle, wie sie nun die Südwestfront erließ, sei er geradezu gezwungen, die wahren Verhältnisse zu verschweigen. - Ich erklärte, dass das AOK. auf eine wahrheitsgetreue Darstellung der Lage den größten Wert lege, schon um über Kräftezuschübe rechtzeitig schlüssig werden zu können.

Gesamteindruck: Der Mann lügt das Blaue vom Himmel herunter. Aber er macht das geschickt, und überhaupt ist etwas an ihm daran: Er wird nicht zurückgehen. Auffallend auch, dass seine Korpskommandanten, Erzherzog Josef und Krautwald, mit ihm zufrieden sind. Und umgekehrt; namentlich den Erzherzog lobt er über alle Maßen. - Le Beau sagt mir, ich möchte, wenn möglich, noch zum XV. Korps fahren. Nehme also meinen Weg über Idria nach Kneža; komme bei Idria di Buča gut vorbei. Bei Tolmein scheint übrigens heute Ruhe zu herrschen. Um Mittag Meldung bei Stöger-Steiner, das Korpskommando gerade beim Essen. Körner ziemlich boshaft, schimpft über die vielen Besuche; „zuerst kamen die Zeitungsschreiber, jetzt die anderen Feuilletonisten“. Ich sage ihm ganz offen, dass ich das Korpskommando nicht lange belästigen werde, und nur mich meldete, um nicht vorüberzufahren. Körner scheint recht verbittert zu sein; habe ihn aber doch gern, weil er ein grundehrlicher Kerl ist und seine Ansichten offen heraussagt. Teile ihm nach Tisch den eigentlichen Zweck meines Aufenthaltes mit; mache ihn darauf aufmerksam, dass Stöger-Steiners letzter Bericht „oben“ als Schwäche gedeutet wird. Körner sagt, dazu sei keine Ursache; man sei voller Zuversicht, er werde sich aber nicht dazu hergeben, die Verhältnisse anders darzustellen als sie sind. Und eine gewisse latente Krise besteht namentlich seit Aufgabe der vorderen Stellung (westlich 588), da die jetzige aus mehreren Richtungen flankiert sei und unbedingt gehalten werden müsse, wenn man den Brückenkopf nicht verlieren will. Kurz nach Verlust der Vorderen wurde deren Wiedereinnahme befohlen; infolge einer mündlichen Rücksprache des Korpskommandanten mit dem Divisionär (Bogat, anfangs September) sei dieser Angriff jedoch unterblieben. Schmidt-Fussina sei nun ganz derselben Auffassung wie Körner; er will die Stellung zurücknehmen, braucht aber einige (etwa 4) Bataillone dazu. Ich mische mich in diese Sache nicht hinein, über die ich mangels genauer Ortskenntnisse auch nicht recht mitreden kann. Körner schimpft noch tüchtig über alle: über Boroević, Le Beau (den er einen kompletten Trottel nennt), Bolfras (war hier Generalstabschef) u.s.w.; lobt Klemm, dem das Verdienst zukommt, dass man zu Kriegsbeginn in die vordere (Brückenkopf = Stellung) vorging. - Nun Fahrt über Podberdo Bischoflack nach Krainburg, wo ich wegen einer Autopanne am Karbonato nächtigen muss. Hier tiefster Friede. (Kps.Tr.Gruppenkdo 1/XV).

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