Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
13.10.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
13.10.1915

In Serbien geht es bereits hart, sehr hart. Die Bayern hatten sehr schwere Verluste, der Angriff schreitet nur langsam vorwärts. Die Serben haben nunmehr bereits 6 - 7 Divisionen gegen uns und die Deutschen im Kampf, eine weitere kommt noch heran; es wäre daher Zeit, dass die Bulgaren mit ganzer Kraft losschlagen.

Bei Pflanzer hatte der Angriff den zu erwartenden Nicht-Erfolg; dadurch ist schon wieder eine jener gewissen Krisen eingetreten, man schreit nach neuen Kräften, Nach Reserven die „man“ gerne vom I-Kriegsschauplatz holen möchte. Ich kann aber nun wirklich nichts abgeben, da auch bei mir die Gefahr eine latente ist. Mehr als 2 Monate sind seit der 2. Schlacht im Görzischen verflossen; der Gegner konnte reichlich Munition und Mannschaften ergänzen. Übrigens deuten auch alle Anzeichen der letzten Zeit auf einen neuen Angriff hin. Gestern wurden westlich Görz neue Batterien festgestellt (schwerste und mittlere); auch der Lastauto- und Trainverkehr hinter der italienischen Front ist auffallend lebhafter. Überdies Cadorna muss etwas unternehmen, wenn er am Ruder bleiben will; er muss die Richtigkeit seiner These, das Heil liege im Angriff mit voller Kraft gegen Österreich-Ungarn, beweisen und dadurch die Forderungen nach überseeischen Abenteuern der Entente entkräften.

Die Äußerungen des italienischen Gesandten in Athen gehen mir nicht aus dem Kopf, sodass ich abends ein Telegramm an Falkenhayn konzipiere, worin um seine Auffassung über diese Äußerungen ersucht wird. Da diese Äußerungen tatsächlicher Stimmung in Italien entsprechen mögen, könnten sie als Sondierung angesehen werden. Es wäre aber auch nicht unmöglich, dass es sich nur um ein Zurückweichen vor Griechenland in Adriafragen oder hier um eine beabsichtigte Irreführung vor Beginn neuer militärischer Kraftanstrengungen handelt. Die von italienischer Seite gefallenen Äußerungen bieten die Gelegenheit, über den künftigen Grenzverlauf zwischen der Monarchie und Italien zu sprechen. (Folgt die Minimalgrenze wie im Conradschen Memoire, Tagliamento und Bergfüße). Während ich mit Kless und Schitler noch über dieses Telegramm berate, kommt eine Depesche Falkenhayns, die eine Abgabe von Kräften der Isonzofront auf den Balkan anregt. Nun ist wohl das Telegramm wegen der Grenze und Kriegsziele nicht opportun; es gilt vielmehr, diesen „Angriff“ auf die dünne Südwestfront abzuwehren. Dies geschieht durch eine Darlegung der Kräfteverhältnisse: „Unseren 12 ITD mit zusammen 120.000 Gewehren (davon 20.000 Landsturm) stehen auf Seite der Italiener 25 I, 4 KD und 2 Alpini Gruppen mit zusammen 300.000 – 350.000 Gewehren gegenüber. Da nach der langen Retablierungsruhe der italienischen Hauptkräfte und nach unseren Nachrichten der letzten Zeit ein neuer allgemeiner Angriff an der Isonzofront nicht unwahrscheinlich (von Metzger geändert in „wahrscheinlich“) ist, würde jedes Abziehen von Kräften die bisher immer gerade noch gehaltene Situation ernstlich gefährden und die Leistungen der Truppe auf ein nicht mehr zulässiges Maß anspannen. Wegen dieser hohen Anforderungen erachte ich auch einen Austausch von Truppen nicht für angezeigt. Conrad.“ Heute wieder - namentlich in der Jugend - eine Krisenstimmung, die aber übertrieben ist. Solche Augenblicke, in denen einem „die Haut zu kurz wird“, kehren im Krieg immer wieder. Falkenhayn mag Recht haben, wenn er sagt, es gehe am Balkan gegen seine Erwartungen langsam vorwärts; es ist aber doch noch nichts passiert dorten und das Eingreifen der Bulgaren steht morgen zu erwarten.

Auf dem russischen Kriegsschauplatz haben die Nachrichten von der Bildung einer neuen russischen Armee „Panik“ hervorgerufen. Mit dieser neuen Armee wird es aber nicht so arg sein. Bis sie eingreift, haben wir unseren nächsten Ersatz, haben vielleicht einen Erfolg auf dem Balkan. Und die ganz große Sache, dass der französisch - englische Angriff im Westen abgeschlagen ist, vergisst man ganz! Ja, man sieht nur den Mist im eigenen Haus, nicht aber jenen beim Feind! - Die Antwort an Falkenhayn wird restlos genehmigt; der Chef selbst fügt noch einen Hinweis auf die Überlegenheit der italienischen Artillerie und eine köstliche Bemerkung zum Anlass hinzu. Falkenhayn schrieb nämlich „die gegen mein Erwarten langsamen Fortschritte der Verbündeten in Serbien legen die Frage nahe, ob nicht die 3. Armee durch Heranführung von Truppen u.s.w. verstärkt werden könnte“ Conrad bemerkte: Jetzt sind es die „Verbündeten“, wenn es gut geht, sind es immer die Deutschen“. - Ganz trifft diese Bemerkung zwar nicht zu, denn es geht ja gut; gut, aber ein bisschen langsam. Ich vertraue übrigens doch auf die Wirkung des bulgarischen Angriffes, der mit 6 Divisionen (à 24.000) Mann) gegen 4 serbische losgehen wird.

Auf dem russischen Kriegsschauplatz scheint man nun endlich fest entschlossen, von der Dauerstellung nicht mehr abzugehen. Diesbezüglich geht nachts ein ernster Befehl hinaus, der zugleich das Herausziehen von Heeresreserven, mindestens 1 Division pro Armee, bei den meisten Armeen aber 2 Divisionen verfügt.

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