Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
29.11.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
29.11.1915

General kommt um 1 Uhr früh, hauptsächlich wegen der I-Situation. Ich schlafe jedoch schon. Eine feine Einteilung haben wir, das muss man sagen. - Früh, nachdem ich den nichtssagenden Frührapport fabriziert habe, sehe ich mich um, was es sonst Neues gibt; finde aber nicht viel: den Bericht Christophoris, über die Verhältnisse bei den Deutschen (er ist Mackensen für Etappenangelegenheiten beigegeben) und den Organisationsentwurf Schneiders für das AOK. - Gott behüte uns, dass dieser letztere durchgeht; wir würden ein kleines (nun nicht einmal so kleines!) aber jedenfalls sehr schlechtes Ministerium haben! Bericht Franz (= Christophorus) ist recht gut; überall kommt klar zum Ausdruck, dass der Grundzug der Deutschen Einfachheit ist. Bei den Kommandos hat überall der Stabschef die größte Macht, er denkt und entscheidet vor allem, die anderen führen seine Befehle mit deutscher Gründlichkeit aus. Als Beispiel der Großzügigkeit der Deutschen führt Franz an, dass jedem Mann - die Eroberung des Suezkanals vorschwebt; was sich auch entgegenstellen mag, wird als Hindernis betrachtet, das auf dem Weg zu diesem Ziel rasch überwunden werden muss. (Slamecka bemerkt dazu: Na, die Ausführung war aber nicht darnach!!) - Jedenfalls werde ich diesen Bericht noch lesen und studieren, da er auch über Gebirgstrainorganisation manches Beachtenswertes enthält. Über Christophoris Bericht ist überhaupt nichts zu sagen. Er enthält viele Deckungsprofile und dergleichen - die aber höchstens dem AOK unbekannt sind...

Nachmittags ist Exzellenz Höfer wieder da. Er stattet uns einen Besuch ab und erzählt mit besonderer Freude vom Sturz einiger österreichischer Minister und einem großen Konflikt zwischen Kriegsministerium und Tisza wegen der Kriegsgefangenenwirtschaft in Ungarn. - Heute abends sprach ich seit längerer Zeit wieder einmal mit Metzger und stelle ihm (in Gegenwart Höfers) 2 Fragen. Die erste, ob bei den letzten Konferenzen mit Falkenhayn der Fortgang des italienischen Krieges überhaupt zur Sprache gekommen ist. Ich betone, dass ich dies deshalb frage, weil die; Situation jetzt für einen Rückenangriff aus Tirol ausnehmend günstig sei; obwohl ich die Schwierigkeiten des Winters nicht unterschätze. Metzger sagt, auch ihm gehe diese Sache seit unserem letzten Gespräch nicht aus dem Kopf, es werde aber an Kräften fehlen. Und die große Frage sei jetzt, ob Italien an Deutschland den Krieg erklären werde. Dies könnte entweder erfolgen, wenn es im Parlament gefordert wird oder auf Grund eines Erfolges, der die Italiener kühner machen würde; denn gegenwärtig getrauen sie sich diese Kriegserklärung nicht. Was die Deutschen im Kriegsfalle tun würden, sei natürlich auch noch ungewiss und hänge sehr von der Entwicklung der sonstigen Lage, namentlich aber von den Entscheidungen in Rumänien ab. Die Deutschen haben gegenwärtig 5 Divisionen frei, die vor allem gegen Rumänien schauen. Die Haltung Rumäniens in den letzten Tagen bezeichnet Metzger als „äußerst dreckig“. Die Rumänen lassen unser Getreide nicht durch, halten unsere Schleppschiffe zurück, werden wahrscheinlich einem russischen Durchmarsch keinen Widerstand entgegen setzen u.s.w. Sollte I. nun an Deutschland den Krieg erklären, so würde dies vielleicht die Kriegserklärung Rumäniens nach sich ziehen. In diesem Falle würde Deutschland wahrscheinlich gegen Italien nicht mittun oder doch nur mit schwachen Kräften, etwa mit der 11. Bayrischen Division, die entweder für Transalpinische Alpen oder - für die „anderen“ Alpen gedacht sein dürfte. Aber auch wenn Rumänien nicht in den Krieg gegen die Zentralmächte eintrete, ist es noch die Frage, ob uns Deutschland nicht die Kriegführung gegen Italien auch weiter überlassen würde. Ich komme dann auf meine Gedanken über die Kräfte für den Rückenstoß zu sprechen und habe den Eindruck, dass sich General selbst viel mit der Frage beschäftigt. Er hält aber mit Recht eine Anfrage an Falkenhayn für nicht zweckmäßig, weil sich dieser - auch mit Recht - sicherlich nicht binden würde. - Meine zweite Frage betrifft die künftige Grenze gegen Italien Auch da ist von den Deutschen keine bestimmte Zusicherung herauszukriegen; sie sagen vielmehr immer, wir würden die Italiener ohnedies noch angreifen und zurückwerfen - womit sich diese Frage auf natürliche Art erledige. Es kommt aber, meint Metzger; auch in Betracht, dass unser Ministerium des Äußeren nicht etwa, wenn Vorbesprechungen beginnen, weich wird und die Schützengrabenlinie anbietet. Ich erkläre, dass ich daran schon gedacht habe, und schlage die Verfassung einer kurzen Denkschrift vor, in welcher die Nachteile der Schützengrabengrenze und des status quo beleuchtet wird. Metzger meint, der Chef fahre morgen nach Wien und könne das gleich mitnehmen, worauf ich aber entgegnen muss, dass diese Sache doch gründliche Arbeit erfordere, auch wenn die Denkschrift nur kurz gehalten sein soll. So stimmt Metzger zu, dass ich es angehe, aber ohne derartige Zeitbeschränkung.

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