Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
09.05.1915
Wählen Sie aus:
Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
9.5.1915

Früh sagt mir Zobernig vertraulich: Der Deutsche und unser Kaiser hätten Briefe an den König von Italien gerichtet, in denen sie über Moral und Anstand in Politik sprachen. Sonnino hat den König unzureichend darüber orientiert, was wir abtreten wollen; dies soll nun durch jene Briefe geschehen. Auch damit hängt wohl die Reise Giolittis zusammen. Aufmarschtransporte dauern an. Gestern Grenzabsperrung bei Palmanova. - Sage Spitzmüller, dass weiter verhandelt wird und ich trachte, unseren Sicherungsschleier nach und nach zu verdichten. Sehe dann auch Boog, der morgen nach Görz abgeht. -

½ 11 Uhr sagt mir Kless, es ginge weiter gut vorwärts. Die Russen sind aus Ungarn vollständig draußen; alles rennt bis zum Uzsoker Pass. Zaleszczyki genommen. Das ist gut! -

11 Uhr Marinesektion (Myrtl). Ersuche um das vom Chef gewünschte Gutachten Haus über die Inselfrage und Cattaro.

1115 Ministerium des Äußern. Forgách bittet mich zu sich, sagt mir, dass gestrige Audienz Bülows unbefriedigend verlaufen sei; der König sei aus sich nicht herausgetreten, sondern habe betont, er müsse sich mit dem Ministerrat besprechen. F. äußert sich wieder sehr pessimistisch und hält weitere militärische Maßnahmen für notwendig. Ich erkläre ihm, dass man diesbezüglich in Teschen auf Anregungen des Ministers wartet. Er sagt mir, er werde mit diesem darüber sprechen und mich noch einmal bitten. Sprach dann mit Pogatscher und Hoyos. Ersterer erzählt mir vom neuesten Angebot, das auch Gradiska enthält. Man erwartet die italienische Antwort für morgen. Weitere Zugeständnisse sind in Aussicht genommen. Ich erkläre auch ihm den Standpunkt des Chefs, alles zu geben; er meint, das allgemeine Misstrauen in Italien rührt daher, dass man glaubt, die Kaiserreiche hätten die Absicht, alles zedierte Gebiet entweder gleich oder nach kurzer Zeit wieder abzunehmen. Hoyos erklärt die Lage für unverändert. Er meint, Forgách sei immer pessimistisch. Natürlich sei die Situation sehr ernst, man hoffe aber, durch Verhandlungen noch 1 - 2 Wochen zu gewinnen. Endlich bemerkt er, die Monarchie würde auch dann noch bestehen, wenn die neuen Feinde dazukämen. - Nachmittag 115 kurze Meldung. Über die Anregungen Forgáchs schwieg ich mit Absicht, weil sie von unverantwortlicher Stelle kommen und große Maßnahmen noch nicht auslösen können. Kless teilt mir übrigens mit, heute gehe ein neuerlicher Antrag mit Kurier an Bolfras; außer den schon beantragten Punkten werden auch Verstärkungen, alles mit sofortiger Durchführung, beantragt. - Nachmittag finde ich sogar Zeit zu einem Besuch bei Schäfler. Telefoniere von dort Hoyos, der mir sagt: Nichts wesentlich Neues, eher Zeichen für weitere Verzögerung. Dies kann auch Zobernig bestätigen. Nachrichten über unseren Sieg beginnen zu wirken. – Abends sagt mir Kless: In Pola (auf unsere Anfrage) alles in bester Ordnung gemeldet. - Ein Telegramm Seillers besagt: Allgemeine geheime Mobilisierung im Gange. Operationsbereitschaft kann 23.5. erreicht sein. Außerordentlicher Ministerrat am 7. soll Krieg beschlossen haben; nur Unterrichtsminister war, vom Papst beeinflusst, dagegen. Mangel jeder Begeisterung im Volk, daher energische Presseaktion. Vorwand für Kriegserklärung an Türkei soll Beteiligung türkischer Offiziere an Kampf in A1banien sein. Auf deutscher Botschaft große Hoffnung auf Giolitti.

X
Tablet drehen