Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
04.05.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
4.5.1915

Depesche hat in Teschen begreifliche Aufregung erzeugt. Auch Chef hat sich sehr dafür interessiert. Kless teilte mir mit, dass er heute alles wegen der Verstärkungen auskochen werde. - 

915 vormittags kommt eine Depesche des Chefs an Burián, worin er bittet, die Politik darnach einzurichten, dass ein Eingreifen Italiens bis zur Beendigung des jetzigen Krieges unbedingt vermieden bleibe. Von Rom kommt eine Depesche, dass der König nicht nach Quarto fährt. Die internationale Lage erfordert die Anwesenheit aller Mitglieder der Regierung in Rom. (Auch unangenehme Nachricht aus Albanien, Seiller glaubt übrigens, dass dieser nicht allzu viele Bedeutung beizumessen sei; was sind auch 2 oder 3 Divisionen von 40!). - Übergebe 11 Uhr vm. das Telegramm Conrads; Burián liest es, sagt aber weiter nichts. Melde dies nach oben, und mache auch auf das Telegramm Seillers aufmerksam, das man oben anscheinend noch nicht kennt. Kless sagt mir, das Communiqué werde heute früh kommen, es sei aber scheußlich, da nicht weniger als 15 Personen daran gekocht hätten, 1h Besuch bei Pogatscher, um mit ihm über die Lage zu sprechen und zu fragen, ob ich morgen nach Teschen fahren kann. Er hegt Bedenken, da vielleicht gerade heute oder morgen territoriale oder sonstige Fragen zur Sprache kommen können und die Aufrechterhaltung ständiger Fühlung dringend erwünscht ist. Die Lage wird auch vom Botschafter in Rom und im Ministerium des Äußern sehr ernst beurteilt, ohne dass man gerade der Auffassung ist, dass die nächsten 24 Stunden schon die Entscheidung bringen müssten. Unser Botschafter in Rom ist beauftragt, über die küstenländische Grenze zu verhandeln und sich hiebei im Allgemeinen an unsere letzten ausgearbeiteten Vorschläge zu halten. Im Ministerium des Äußern treffe ich Rohr, der zu Forgách geht. Er nimmt mich auf der Rückfahrt im Auto mit und erzählt mir die im Auftrag des Ministers des Äußern gemachten Mitteilungen Forgáchs, die er dann auch zu Papier gibt. Er beauftragt mich, dies dem AOK sofort zu melden.

(Siehe Nachmittagsmeldung).-

Um 5 Uhr abends bekomme ich ein neues Telegramm des Chefs an den Minister des Äußern; er will nun den Krieg um jeden Preis vermieden wissen. Komme um 6 Uhr ins Ministerium; höre, dass Minister bei Seiner Majestät, übergebe das Telegramm Graf Forgách, bei diesem auch Hoyos anwesend. Gehe geradewegs auf den Kern der Sache ein, und sage, dass nun nach Auffassung des Chefs alles zu geben wäre. F. erklärte mir, auch dies würde die Lage nicht ändern, da Italien seine Forderungen überhaupt zurückgezogen habe. Er hält den Krieg für unvermeidlich und ermächtigt mich, dies dem Chef zu melden. Kurze Besprechung der militärischen Lage; die Herren meinen (nicht unrichtig), dass doch Kräfte herangezogen werden könnten (auch deutsche müssten kommen). Ich sage, dass man für das Auslaufen der jetzigen Offensive mindestens 7, wahrscheinlich aber 14 Tage veranschlagen müsse. - Hoyos erwähnt, dass man doch hoffe, Rumänien werde wenigstens nicht sofort angreifen. - Melde dies alles um 730 Uhr abends. Bin um 845 wieder im Ministerium des Äußern. Beim Minister ist (oder war) Avarna, dann Exzellenz Körber. Die letzte Meldung Macchios soll sehr schwarz gelautet haben. (Dies geschrieben im Wartezimmer bei Forgách, gegen 8 Uhr). 815 teilt mir Graf Hoyos mit, Minister könne mich nicht mehr empfangen, ich möge aber Chef melden: Italien habe den Dreibund gekündigt und behielte sich die volle Freiheit der Entscheidung vor; dies bedeute die ernstesten Ereignisse. Auf die Frage, ob auch militärische Maßnahmen beschlossen wurden, antwortete der Graf, diese müssten sich aus den mir eben mitgeteilten Tatsachen ergeben, man könne nicht weiter Vogel Strauß Politik spielen und den Kopf verstecken.

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