Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
19.08.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
19.8.1915

Heute beginnt eine „Affaire Boroević". Vormittag langt ein Telegramm für den Chef ein; Boroević hat wegen eines ihn tief verletzenden, eklatanten Misstrauensbeweises sein Pensionsgesuch eingereicht. Der Chef legt das Telegramm dem Erzherzog vor, der hierauf Eugen telegrafiert: Er lege größten Wert darauf, dass Boroević unter den gegenwärtigen Verhältnissen auf seinem jetzigen Posten bleibe, und fragt Eugen um seine Ansicht. Diese Antwort nachmittags: Haltung und Verlangen Boroević's seien ganz ungerechtfertigt, und führt an, dass Boroević nun schon in 4 Fällen Befehle des Kommandos der Südwestfront gar nicht oder so gut wie gar nicht befolgt habe. Hierauf sei noch nichts geschehen; beabsichtigt war, Boroević in einem an seine Person gerichteten Schreiben auf diese Unzulässigkeit aufmerksam zu machen. Conrad vidiert dieses Telegramm und lässt es vorläufig liegen, da ein schriftlicher Bericht folgen soll. Ich habe den Eindruck, dass es sehr schwer halten wird, den Armeeschädling Boroević umzulegen; verdient hat er es reichlich, schon durch seine Unaufrichtigkeit und Unbotmäßigkeit, ganz abgesehen von der im schlechten Sinn rücksichtslosen Führung. -

Abends Nachricht vom Fall Kownos. Ungeheure Beute; 20.000 Gefangene, gegen 40 Geschütze u.s.w. Lese eine geheime Mitteilung Buriáns über seine Konferenzen in Berlin, aus der hervorgeht: Deutschland verzichtet tatsächlich ganz auf Polen. Dieses soll weder ein Pufferstaat werden, noch an Russland zurückfallen, sondern vielmehr ganz zu Österreich kommen. Dafür wird Deutschland gewisse Garantien für die deutsche Bevölkerung der Monarchie und auch solche strategischer und wirtschaftlicher Natur fordern. Die ganze Frage stehe in engem Zusammenhang mit den von Deutschland nun beabsichtigten Erwerbungen in Kurland und Litauen, die aber nicht so sehr ausgedehnt werden sollen, dass Russland an der Ostsee ganz eingeschnürt ist. Burián vertritt, was die innerpolitische Seite der Frage betrifft, die Ansicht, dass das Königreich Polen mit Österreich vereinigt und nicht etwa der Monarchie als 3. Staat angegliedert werden solle. -

Was die militärischen Operationen anbelangt, sagt auch Bethmann, dass die Lösung der Balkanfrage an erster Linie stehe und sogar der Niederwerfung Frankreichs vorausgehe. In neuester Zeit seien übrigens Nachrichten aufgetaucht, dass Russland Kräfte in Bessarabien konzentriere um im Einvernehmen mit Rumänien über Siebenbürgen vorzugehen und die Balkanstaaten mitzureißen. - Auch die Frage des Verhältnisses zwischen Deutschland und Italien wurde besprochen; Burián machte auf den ungünstigen Eindruck, den der jetzige Zustand auf Freund und Feind hervorrufe, aufmerksam; Bethmann versprach, die Sache (das heißt die Frage der Kriegserklärung?) mit Falkenhayn zu besprechen. - Die beiden Staatsmänner schieden in bestem Einvernehmen; allerdings fügte Burián bei, dass es zur Lösung der Detailfragen noch großer und geduldiger. Arbeit bedürfen werde.

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