Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
05.04.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
5.4.1915

Ostermontag.

9 Uhr vm. Kless teilt mir telefonisch mit: Conrad gestern nachts zurückgekommen, Ergebnis noch nicht bekannt. Lage unverändert. Die günstige Nachricht im gestrigen Communiqué gründet sich auf das Eingreifen der Deutschen. Es ist zu gewärtigen, dass die Situation überall gehalten wird; von einem Fortschritt allerdings ist in nächster Zeit keine Rede. Östlich Zaleszczyki gleichfalls lokale Erfolge; die Russen, die über den Dnjester gingen, wurden zurückgeworfen, 1000 gefangen genommen. - 10 Uhr besuche ich Rohr. Er erzählt mir zunächst alle möglichen Schaudergeschichten über die Stimmung in Wien. (In einer Kinovorstellung in der Inneren Stadt, die er gestern besuchte, standen bei der Volkshymne nur die wenigen Offiziere und Unteroffiziere auf. - Die Naschmarktweiber sprechen bereits von einer Zerstückelung Österreichs. In den Äußern Bezirken Wiens drohe ein Aufstand, wenn die Brot und Mehlverteilung nicht ordentlich geregelt wird u.s.w. u.s.w. Dann besprach er die Schwäche der inneren Verwaltung und die Stimmung in Tirol. Wegen des Bezirkshauptmannes Zampedri (Cles), der sich bereits einen guten Platz unter italienischer Herrschaft vorzubereiten scheint, sprach Rohr selbst beim Minister des Inneren vor; ein entsprechender Bericht ging übrigens auch an das AOK. - Stimmung in vielen Gegenden Tirols sehr gedrückt (Gefühl mangelnden militärischen Schutzes, Schwierigkeiten in der Bewirtschaftung wegen Ausbleibens der erhofften Ernteurlaube der Landstürmer und wegen Mangel an Weidevieh.

11 Uhr im Ministerium des Äußern. Die großen Herren schlafen noch. Formelle Äusserung erfolgte weder über das erste allgemeine Angebot (quelques cessions territoriales etc.) noch auf die dem Botschafter gezeigte Karte. Was das allgemeine Angebot betrifft, ging jedoch aus den diplomatischen Konversationen hervor, dass es als ungenügend betrachtet wird. Ebenso hat man das bestimmte Gefühl, dass auch der in der bewussten Karte enthaltene Vorschlag als unzureichend bezeichnet werden wird. Weiters erwartet man bestimmt Forderungen an der Friaulischen Grenze. Die weitere Entwicklung der Frage ist in den nächsten Tagen zu gewärtigen; über unsere Taktik, die von der allgemeinen Lage abhängt, wurden noch keine bestimmten Entschlüsse gefasst. Es ist demnach noch nicht sicher, ob angesichts der voraussichtlichen Nichtannahme unserer Vorschläge ohne konkrete italienische Forderungen Burián selbst mit einem neuen Vorschlag hervortreten oder von den Italienern verlangen wird, dass sie nun ihrerseits bestimmte Forderungen stellen.bei dieser Lage erachtet Minister des Äußern meine Anwesenheit hier nicht für unbedingt notwendig; ich werde jedoch in Teschen jederzeit bereit sein müssen, unverzüglich zu einer Besprechung hieher zu kommen. P. teilt mir "ganz persönlich" und mit größter Vorsicht auch mit, er habe mit Sektionschef Forgách die Eventualität besprochen, dass Italien - wohl auf Grund eines Gutachtens seines Generalstabes - noch mehr fordern würde, als überhaupt in unserer Karte eingezeichnet ist; auf gut deutsch: die Brennergrenze. Auf das hin besprach ich eingehend die militärische Situation; natürlich in beruhigendem Sinne.

630 abends melde Bolfras die Situation. Ihm war natürlich alles bekannt, ausgenommen, dass dem italienischen Botschafter bereits die bewusste Karte gezeigt wurde. Auch er sagt, es habe den Anschein, dass selbst die Linie III den Erwartungen der Italiener nicht entsprechen werde und dass sie auch an ihrer Ostgrenze etwas verlangen würden. Man werde sehen müssen, was da zu tun sei. Beauftragt mich, Chef, Metzger, Mor, Kaltenborn Grüsse auszurichten. - Teile abends 8 Uhr Kless das Wesentliche mit. Überbringe noch Spitzmüller den Auftrag Metzgers, eine Zusammenstellung über die Bataillone der Gruppen nach Provenienz und Wertigkeit vorzulegen.

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