Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
29.09.1914
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
29.9.1914

Begreiflicherweise lässt sich Vormittag über rückgängige Bewegungen der Russen noch nicht viel merken. Immerhin scheint über der Wisłoka keine feindliche Infanterie mehr zu sein. Bald telegrafiert auch Fleischmann, dass die Deutschen die Rückzugsabsichten der Russen gleichfalls feststellten; die der deutschen 9. Armee gegenüber befindliche russische Kavallerie geht selbstverständlich auch überall zurück. Sofort wird ein Pressecommuniqué gedichtet, das behauptet, angesichts der von den deutschen und österreichisch – ungarischen Truppen eingeleiteten neuen Operationen seien beiderseits der Weichsel Rückgangsbewegungen der Russen im Zuge, und in diesem Tone weiter; hoffentlich wirkt es in Bukarest. Das von Potiorek vorgelegte Communiqué ist recht farblos und wird wenig fruchten. –

            Gegen Mittag höre ich von Slameczka, dass Soós Generalstabschef in Siebenbürgen, Paic beim 14. Korps wird. Wieder eine echt österreichische Intrigue. Seit einigen Tagen schon wird gegen Soós ununterbrochen gehetzt; eine Meldung der 3. Armee, dass fortwährend Trains der 4. auf ihre Marschlinie kommen, scheint dem Fass den Boden ausgeschlagen zu haben. Tatsächlich bekam auch Auffenberg eine, vom Chef eigenhändig verstärkte Nase wegen minderer Ordnung bei seiner Armee.

            Mittags Spaziergang auf den Neusandezer Bahnhof. Dort schon ziemliche Ordnung; allerdings treffen noch viele Versprengte ein. Ich spreche einen Gefreiten eines Landwehr Regiments, der mittels Kompass von Tyszowce bis nach Przemyśl gelangte (immer in Richtung Südwest) und dann hieher gewiesen wurde. –

            Abends fährt Purtscher als Kurier nach Wien. Endlich kann ich also ein Brieflein an mein Mitzchen bestellen; das wird auch gründlich ausgenützt zu süßen Vertraulichkeiten. Purtscher brintg die Instruktion für Pflanzer-Baltin zur Verteidigung Siebenbürgens nach Wien. Ich halte dafür, dass man hier einen Vorakt falsch angewendet hat: Unsere Verteidigung gegen Italien. Dort hat man aber starke Befestigungen, eine Hochgebirgsgrenze und eine kampfbereite Bevölkerung; anfangs überdies auch ganz anständige Kräfte, die ihren Zweck, den Gegner Einzuschüchtern, sehr gut erfüllten. In Siebenbürgen fehlt das alles; man schafft den Rumänen wirklich nur Gelegenheit zu billigem Erfolg.

            Fischer erzählt mir über die 4. Armee (er überbrachte dem Armeekommandanten Befehle nach Zakliczyn): Auffenberg ist ziemlich „gedeftet“. Er ahnt, dass etwas im Zuge ist. – Soós sagt nur, er werde durch Vorlage der Befehle beweisen, wie gearbeitet wurde. Man konnte unter diesen Verhältnissen nicht zu jeder Wegkreuzung einen Generalstabsoffizier hinstellen. – Was den Zustand der Armee betrifft, sagt Fischer, sind bei den einzelnen Korps sehr auffallende Unterschiede zu merken. Das VI. ist vorzüglich; die Leute üben Einzeldefilierung nach der Befehlsausgabe wie im Frieden, salutieren mit größter Strammheit, haben geputzte Schuhe und sehen aus, als seien sie frisch aus der Kaserne gekommen. Beim XVII. und IX. Korps dagegen sehe es recht minder aus. Die Sanitätspolizei sei im ganzen Bereich mangelhaft; Pferdekadaver auf allen Straßen.

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