Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
28.09.1914
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
28.9.1914

Evidenzbüro und Stellvertretender Großer Generalstab wünscht ein Dementi der russischen Pressenachricht, dass Krakau unter dem deutschem Oberbefehl stehe und dort 3 deutsche Armeekorps eingetroffen seien. Ich halte das Dementi für nicht zweckmäßig, da es nur gut sein kann, wenn die Russen glauben, dass in Krakau deutsche Kräfte seien. Übrigens sind die Russen über die Bewegungen der deutschen 9. Armee gut unterrichtet; endlich hat ja auch das Berliner Tageblatt bereits die Nachricht vom Eintreffen einer neuen Armee gebracht. Ich spreche über die Sache aber doch mit den Deutschen. Bei dieser Gelegenheit erklärt Freytag, das Vernünftigste, was die Russen in der gegenwärtigen Lage tun können, wäre, sich für die Weichsel Verteidigung einzurichten. Übrigens sei es ganz gleichgültig, was die Feinde unternehmen: man müsse sie beim Vormarsch irgendwo antreffen. –

            11 Uhr vorm. Eine aufgefangene russische Radiodepesche enthält die Rückzugsdisposition für die der 1. Armee gegenüber stehenden Kräfte. Dies hat einen sofortigen Stimmungsumschwung beim Kommando zur Folge. Ich höre, unsere Offensive soll am 2. Oktober beginnen; abends habe ich einen Armeebefehl zu entwerfen, der den pessimistischen Gerüchten im Hinterland entgegen tritt, die Lage als durchaus gut darstellt und mit Bestrafung der Schuldigen droht. –

            Der Antagonismus zwischen Purtscher und Christophori spricht sich immer deutlicher aus. Purtscher findet ein sichtliches Vergnügen daran, alle Anordnungen Christophoris in gehässiger Weise zu kritisieren und ihm mit unangenehmen Nachrichten aufzuwarten. Dabei ist Christophori doch der weitaus Höherstehende. Brav, fleißig bis zur Selbstzerstörung, dabei gut und aufrichtig; nur größeren Situation nicht gewachsen und in der Technik der Armeeführung und Befehlsgebung nicht geschult.

            Bericht über Tekeriš zu Ende gelesen; unsere Führung hat dort vollständig versagt. So schlecht wie Przyborski darf man nicht einmal bei Manövern disponieren. Allerdings scheint sich auch das 8. Korps- und das 5. Armeekommando Unglaubliches geleistet zu haben. Man sieht ja: Jetzt geht es unten: Potiorek kann eben führen. Momentan hat allerdings auch er einen schweren Stand; der Einfall der Serben in der Richtung Sarajewo nötigt zu größeren Gegenmaßregeln; 3 Gebirgsbrigaden hält er für nötig. Wo wird er diese wohl herausziehen, - selbst wenn der Widerstand der Serben wirklich zu erlahmen beginnt?

            Abends fordert der Minister des Äußern dringend ein Communiqué über die erfolgreichen Kämpfe bei Krupanj, da am 30. September wieder ein „entscheidender“ Kronrat (der wievielte entscheidende schon?) in Bukarest stattfindet. Potiorek wird sofort angewiesen, das Gewünschte zu liefern. –

            Ich kann nicht schlafen gehen, ohne zu notieren, dass dieser Tag, der 28.9. – oder vielleicht der vorhergehende – als großer Tag der Kriegsgeschichte dastehen wird. Er bedeutet – so Gott will – die Wendung in der Kriegslage. Die Russen haben die deutschen Bewegungen erkannt und fühlen sich ihrer nicht gewachsen. Die russische Offensive dürfte wirklich kulminiert haben. Das verdient vermerkt zu werden. Die Ereignisse werden zeigen, ob ich recht habe.

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