Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
23.09.1914
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
23.9.1914

Schlechte Nacht; das ferne Mitzchen gibt mir keine Ruhe. – Fleischmann ist wieder hier, um die Forderungen der Deutschen vorzutragen. Sie sind entschieden gegen den „engen Anschluss“, der keine Operationsfreiheit gewährt. Es soll das Wort gefallen sein, unsere Gruppierung sei eine ähnliche wie bei Königgrätz. Zweifellos beginnen die Reibungen des Bundeskrieges, wobei ich nicht daran zweifle, dass die Deutschen mit ihren Forderungen durchdringen werden, zumal diese ehr berechtigt sind. Es ist doch auch bei uns schon bekannt, dass die Russen eine 9. Armee bei Iwangorod versammeln und uns in Galizien im Allgemeinen nicht folgen. Man kann also mit einer starken russischen Vorrückung in Polen rechnen, der man von der nördlichen Flanke wird beikommen müssen. Daher ist der deutsche Wunsch, dass wir eine unserer Armeen auf das nördliche Weichselufer verschieben, wohl begründet. Erklärlich ist es allerdings auch, dass man sich zu dieser Maßnahme schwer entschließen kann; einmal, weil die Deutschen den Oberbefehl führen und, zum zweiten, weil man weiß, dass unsere Truppen in ihrer an sich minderen, jetzt gewiss nicht besser gewordenen Verfassung, von den Deutschen sehr abstechen könnten. Entschließt man sich nicht nachzugeben, so werden die Deutschen ihr Postulat schon im Wege des Deutschen Kaisers, mit dem angeblich auch schon gedroht wurde, erreichen. Unser Kaiser kann auf diese Art keinen guten Eindruck von unserer Führung bekommen, zumal ihm auch Potiorek viel in den Ohren zu liegen scheint. Der hat übrigens gestern für seine direkte Einflussnahme eine vom Chef eigenhändig verfasste, sehr scharfe Nase bekommen; seine Bitte um Verstärkung wurde endgültig und gröblich abgelehnt. – Im Pressecommuniqué, das naturgemäß für den nördlichen Kriegsschauplatz sehr zurückhaltend lauten muss, wage ich es zum ersten Mal, über den Balkan einige günstige Andeutung zu machen. –

            Abends schildert Zeynek den Zustand der 4. Armee: was zurückgeht, macht nicht mehr den Eindruck von Truppe; es sind nur mehr Haufen; keine Doppelreihen, sondern einer geht hinter dem anderen; dazu Trains in bekanntem Durcheinander. Allerdings hat man die Erfahrung, dass einige Tage genügen, um Ordnung und Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Auch die täglichen Meldungen von Panik und Ermüdung der Truppen seien nicht allzu ernst zu nehmen. So hat das 17. Korps einmal gemeldet, es könne nicht weiter; bald darauf kam eine zweite Meldung, dass die Unterkunftsmöglichkeiten derart schlecht seien, dass das Korps den nächsten Tag marschieren wolle. Mittlerweile wollte das Armeekommando für die ganze Armee einen Rasttag anordnen! –

            Den ganzen Nachmittag wurde, soviel ich orientiert bin, über die Forderungen der Deutschen beraten. – 6.30 Uhr abends telefoniert mir Csoban im Auftrag des Kriegsministers; das Ministerium des Äußern verlange dringend ein Communiqué über den Balkankriegsschauplatz, da die russische Regierung morgen oder übermorgen in Bukarest und Sofia ihren Antrag an Rumänien veröffentlichen und gleichzeitig eine Pressehetze der russophilen Blätter arrangieren wolle, um die Regierungen zum Mitgehen mit der Entente zu zwingen. Um 7 Uhr telefoniere ich nach Einholung der Genehmigung des Chefs das Abendcommuniqué an die Militärkanzlei Seiner Majestät. Darin ist gesagt, was man sagen konnte; hoffentlich ward nicht über das Ziel geschossen.

Allerhöchste Zustimmung wurde noch abends erteilt.

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