Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
18.10.1914
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
18.10.1914

Während der Nachtinspektion keine wichtigen Meldungen. Früh sehe ich einen Brief Berchtolds, der sehr wichtige Fragen berührt: Die Verwaltung Polens (Unzufriedenheit des Ministers mit dem deutschen Vorgehen, das die radikalen Elemente bevorzugt). Wunsch nach Beigabe eines Diplomaten (Baron Andrian) an den Militärgouverneur. Teilnahme eines kleinen österreichisch-ungarischen Detachements bei der eventuellen Besetzung von Warschau. – Dann wird eine merkwürdige, nicht kontrollierbare Meldung auch Russland erwähnt, „die auf friedliche Disposition an der Sängerbrücke schließen lässt“ und gefragt, ob der Zustand der russischen Armee derartige Disposition wahrscheinlich erscheinen lässt. –

            Meldungen von gestern abends:

            4. Armee: Gegner entlang Ostufer des San in stark befestigten Stellungen mit viel gut situierter Artillerie, besonders gegenüber Jaroslau mehrere solcher Linien. Vom 17. Korps bei Jaroslau übergegangene Kräfte konnten nicht weiter Raum gewinnen, sind bis 500 an feindliche Stellungen herangekommen. –

            Vormittag kommt ein Hilferuf der 2. Armee: Sie steht in einer 40 km langen Front im Kampf, hat aber keine Reserven mehr und bittet daher, Kräfte von der 3. Armee – womöglich solche in den Verband der 2. gehörige – nach Süden zu verschieben.

            Bei der 3. Armee passierte das XI. Korps heute Vormittag in fließendem Angriff mit seiner Mitte die Höhe Liskowiec. Sobald dieser Angriff in die Linie Stroniowice-Tyskowice kommt, wird die Gefechtsgruppe südlich davon sich anschließen.

            Um 3h30m nm. folgende Orientierung über deutsche 9. Armee durch Fleischmann: „Vor Warschau und Iwangorod andauernd heftige Kämpfe. Starker russischer Kavalleriekörper über Wiskitki vorgedrungen, ob mit Kavalleriekorps in Kontakt getreten und mit welchem Erfolg, derzeit nicht bekannt. Hinter vorderster russischer Gefechtslinie westlich Warschau bei Zaborow und Babize neue Kräfte festgestellt (V. und 4. Divison). Aus Warschau südwärts gegen Piaschno frische russische Kräfte im Anrücken. Verhältnisse bei Gora Kalwarya noch nicht übersehbar. An frischen Kräften jenseits Weichselstrecke Kozienice Iwangorod eingetroffen: nordöstlich Kozienice knapp am rechten Weichselufer eine Division, 1 ½ Div. übergangsbereit bei Pawlowice nordöstlich Kozienice, am westlichen Weichselufer innerhalb der Forts von Iwangorod eine neue Division, am östlichen Ufer bei Golab (sö. I.) eine Brigade. Verläßlich konstatiert 5 Divisionen vor Kozienice – Iwangorod. Unser I. hat über deutscherseits geäußerten Wunsch von 1. Armee Befehl erhalten, unbeschadet bisheriger Aufgabe, im Bedarfsfalle in das Gefecht der südlich Iwangorod kämpfenden 1. Gardedivision einzugreifen.“

            Ein Telegramm des Kaisers verlangt die Unterstellung der 1. unter das Oberkommando der deutschen 9. Armee. Dies wird in einer 3 Seiten langen, wenig schönen Antwort abgelehnt. „Die auseinander flatternden Operationen“ der Armee Hindenburg werden für die jetzige Lage verantwortlich gemacht. Es wird als gefährlich bezeichnet, unsere erste Armee in eine ähnliche Operation zu verwickeln, statt sie mit geschlossener Kraft einzusetzen. Übrigens habe seinerzeit Kaiser Wilhelm auch die Unterstellung Hindenburgs unter unseren Befehl abgelehnt. Endlich wird betont, dass dieselben Verschiebungen von Kräften vom französischen Kriegsschauplatz auf den russischen dringend notwendig seien, und angedeutet, dass die deutschen Wünsche nur glänzenden Zielen dienen. Alles in allem, eine höchst unkluge, nur kleinlicher Vorsicht entsprechende Antwort. Meine Auffassung der Sache ist diese: Es handelt sich um 2 – durch die Weichsel – getrennte Operationen. Der einheitliche Befehl über die Kräfte nördlich der Weichsel, die bald gemeinsam zum taktischen Schlag kommen werden, wäre daher begründet. Die Befehlsübermittelung über die erste Armee würde sich dann wesentlich vereinfachen, zumal sobald als ihre Kräfte am linken Ufer des Flusses sein werden.

            5h40m nm. Meldung: 44. ITD Magiera genommen.

            Nach den Abendmeldungen scheint mir die Lage, ungeachtet des schönen Erfolges auf der Magiera wieder recht ernst. Durch einen aus dem Bložewka Tal über Budy eingesetzten Angriff wurde nämlich das 3. Korps, zumindest in der Mitte, bedeutend zurückgedrückt. Der rechte Armeeflügel, das IV. Korps, vermochte sich zwar zu behaupten, der Feind scheint aber immer neue Kräfte von Sambor und weiterhin von Stryj her gegen diesen Flrügel einzusetzen. – Am unteren San wird der Gegner wieder aktiv, so zwischen Ulanów und Krzezów, wo ihm ein Brückenschlag gelang.

            Zur Zeit da ich dies schreibe, 10 Uhr abends, ist vom Resultat des Kampfes der 2. Armee, speziell des XI. Korps, noch nichts bekannt; ich halte aber dafür, dass die Schlachtentscheidung auf den Flügeln fallen wird. Auf dem südlichen Flügel aber sind wir schwach und unsere Maßnahmen zur Verstärkung dieses Flügels sind verspätet und unzureichend, während der Gegner augenscheinlich dorthin immer neue Kräfte einsetzt.

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