Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
31.12.1914
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
31.12.1914

Heute verfasse ich den letzten Tagesbericht und das letzte Communiqué; ich mache Ernst damit, mein Geschäft abzgeben, um mich den neuen Aufgaben, der „Schreibung“ des populären Werkes und so nebenbei dem Memoire zu widmen. Heute abends fährt der Chef nach Berlin, zu einer, wie ich glaube, mit großer Mühe herbeigeführten Besprechung mit Falkenhayn. Kageneck sagt mir nm. vertraulich, dass man in Deutschland über unsere innenpolitischen Verhältnisse sehr gut unterrichtet und entrüstet sei, dass in Böhmen nichts geschehe. Es sei Pflicht des AOK ein energisches Einschreiten, zumindestens die Ablösung des Grafen Thun durch einen General kategorisch zu verlangen. Die Deutschen erkennen nun aber auch langsam, dass unsere Truppe zum großen Teil kein festes Gefüge hat. Kageneck erzählt, die 47. Res.Div. habe die schlechtesten Eindrücke von den Vorgängen hinter unserer Front… Ich kann nur erklären, ich hätte vor einigen Tagen schon die Lage bei der 3. Armee zutreffend beurteilt. – Abends kommt ein Bericht über die Vorgänge bei VII. Korps, aus dem eigentlich in erster Linie hervorgeht, dass Erschöpfung an den traurigen Ereignissen bei dieser Truppe schuld ist. Erzherzog Josef sagt, „dass auch das Feuer von rückwärts die Truppe nicht abhielt, ihre Stellungen zu verlassen, sobald das Feuer schärfer einsetzte, und dass Leute in der Front aus vollster Erschöpfung Selbstmord begingen.“ – Boroević sagt, das Korps sei während des ganzen Krieges schwächlich gewesen, bei Gródek, am Südflügel bei Przemyśl und am Lupkower Pass. Erzherzog hat sein Bestes eingesetzt und auch Beweis persönlicher Tapferkeit geliefert. In der 3. Armee herrsche nur eine Stimme: der Aufenthalt in den Schützengräben bei Przemyśl sei die letzte Erholung gewesen, seither habe man nicht mehr geschlafen… - Mattachich, der von seiner serbischen Expedition wieder hier ist, erzählt seine Erlebnisse; die beiden Amerikaner sind bei Belgrad noch knapp durchgerutscht… Gottlob, nun kann ich mein Tagebuch wieder gründlich führen. Die Zeit, wo ich von früh bis abends ununterbrochen eingespannt war, ging dafür verloren. Ich spüre auch Nachwirkungen; bin heute schrecklich müde und werde froh sein, die Silvesternachtinspektion, die mir Zeit geben wird, über all die erlebten schönen Silvesternächte nachzudenken, angebracht zu haben.

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