Kragujevac

Zeitgleich mit Freud und Kraus, vor dem Erfahrungshintergrund des galizischen Schocks und des Menschen und Material vernichtenden Serbien-Feldzugs vollzog sich die Wandlung des Friedrich Austerlitz vom enthusiastischen Befürworter zum dezidierten Gegner des Krieges. Sukzessive baute er als Chefredakteur die Arbeiter-Zeitung von einem Organ des „Burgfriedens“ in ein Medium des demokratischen Pazifismus um. Berühmt wurde sein fortgesetzter Kampf gegen die Unmenschlichkeit der Militärgerichtsmaschinerie, eine Auseinandersetzung, in der er scheinbar belanglose Marginalien mit der gleichen Hartnäckigkeit verfolgte wie seiner Meinung nach in der Kriminalgeschichte einzigartig dastehende Justizmorde. Einer seiner markantesten und politisch brisantesten Beiträge setzte sich mit einer Anfang Juni 1918 in Kragujevac im Gouvernement Serbien ausgebrochenen Militärrevolte auseinander. 

Kragujevac war Zentrum der Rüstungsindustrie wie auch der landwirtschaftlichen Produktion des Gouvernements. Nunmehr war gemäß den Bestimmungen von Brest-Litowsk eine große Anzahl von Soldaten aus der russischen Kriegsgefangenschaft entlassen und zu ihren Korps zurückbeordert worden; in Kragujevac trafen knapp 2.400 Rückkehrer ein. Unmittelbar, zu wiederholten Malen und meist in volltrunkenem Zustand begehrten diese gegen unzumutbare Unterkünfte und mangelnde Verpflegung auf; am Abend des 2. Juni eskalierten die tumultösen Auseinandersetzungen in eine folgenreiche Meuterei, die sozialrevolutionäre, radikal-pazifistische und antihierarchische Momente ebenso aufwies wie sie von kruden antisemitischen Ressentiments durchdrungen war. Der Aufruhr wurde von loyalen Truppenteilen schnell niedergeschlagen und mit der Exekution von insgesamt 44 „bolschewistischen Aufrührern“ beendet.

Zur Durchführung der Exekution waren Bosniaken kommandiert, die auf zwei Schritt Entfernung und in zwei „Partien“ zu schießen hatten. Austerlitz, der über den Ablauf der Hinrichtung von dem zur Justifizierung kommandierten Arzt informiert worden war, zieht in seiner Darstellung ein beinahe lakonisch anmutendes Resümee: „Die Opfer … waren beinahe alle Familienväter, und alle waren vielfach mit allen Graden von Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet. Sie sahen auch diesem letzten Tode ohne Scheu in die Augen, lautlos, ohne eine Miene zu verziehen, ohne eine Abwehrbewegung.“ In brillanter literarischer Überformung und mit nur minimalen Änderungen hat dieser Text Eingang gefunden in die 55. Szene des fünften und letzten Aktes der Letzten Tage der Menschheit – ein Dokument der Weltliteratur, das in seiner Fülle und grauenvollen Wahrheit wohl gewaltigste literarische Denkmal des Krieges.

Exekutierung von 44 Meuterern in Kragujevac

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Militärgerichtliche Untersuchung über die Meuterei in Kragujevac

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Verhalten der Heimkehrer des Infanterieregiments Nr. 71

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Ermittlungen über die Ursachen der Meuterei

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