Jännerstreik 1918

Seit dem ersten Hungerwinter 1916/17 war es immer wieder zu spontanen Massen­streiks und militanten Auseinandersetzungen, zu Lebensmittelrevolten und Hunger­krawallen gekommen, an denen sich vornehmlich Frauen und Jugendliche beteiligten. Im Zusammenspiel mit Sabotageakten, passiver Resistenz und politischen Streiks begannen sie, das soziale Gefüge der Kriegswirtschaft zu zersetzen. Die Revolten, die wilden Streiks, der neu erwachte Radikalismus der industriellen Unterschichten setzten die Regierung unter starken sozialen Druck und zwangen sie vermehrt, auf die Sozialdemokratie als Stabilisierungsfaktor und Ordnungsmacht zu setzen. Mit besonderer Klarheit wurde dies im Jänneraufstand des Jahres 1918 deutlich – ein revolutionärer Massenstreik, der vor dem Hintergrund der deutschen und österreichischen Verhandlungsführung in Brest Litowsk und aus zunächst eher lapidarem Anlass ausbrach.

Als am 14. Jänner 1918 die Mehlrationen auf die Hälfte gesenkt wurden, trat die Arbeiterschaft des Wiener Neustädter Raums in den Ausstand. Am nächsten Tag breitete sich die Streikbewegung ungeregelt, von Betrieb zu Betrieb, über das südliche Niederösterreich und das Traisental aus. In Wien trat die Arbeiterschaft der Lokomotivwerkstätte Floridsdorf in den Streik ein, am 16. Jänner verweigerten die Belegschaften der Wiener Rüstungsbetriebe die Arbeit; ausgehend von den Floridsdorfer Fiat-Werken griff die Bewegung auf 120 Wiener Betriebe über und erfasste danach die steirische, schließlich die ungarische Arbeiterschaft. Am Höhepunkt, dem 18. Jänner, befanden, sich in Wien 110.000, insgesamt 350.000-370.000 Menschen im Ausstand. Aus leidenschaftlich geführten Streikversammlungen gingen sog. Arbeiterräte als ein konkretes Gegenmodell politischer Interessenvertretung hervor.

Noch am ersten Tag des Wiener Streiks hatte der sozialdemokratische Parteivorstand Forderungen an die Regierung formuliert, die vom Arbeiterrat akzeptiert wurden. Am 19. Jänner wurde einer Abordnung des Arbeiterrates eine Erklärung des Ministers des Äußern, Graf Czernin, überreicht, in der sich dieser verpflichtete, die Friedensverhandlungen keinesfalls an territorialen Forderungen scheitern zu lassen. Der Ministerpräsident sagte Reformen des Kriegsleistungsgesetzes und des Ernährungsdienstes sowie eine Demokratisierung des Gemeindewahlrechtes zu. In der Nacht vom 19. auf den 20. Jänner nahm der Arbeiterrat den Antrag des Parteivorstandes, die Belegschaften ab Montag, 21. Jänner, zur Wiederaufnahme der Arbeit aufzufordern, in einer turbulent verlaufenden Sitzung an.

Der Jännerstreik war eine revolutionäre Demonstration, die letztlich von der Sozialdemokratie zur Durchsetzung ihrer aktuellen Forderungen und zur Stabilisierung ihrer Autorität genutzt werden konnte. Er stellt sich zugleich, in der langen Perspektive, als für die Oktober- und Novemberereignisse des Jahres 1918, die zur Ausrufung der Republik führten, richtungsweisend dar.

Denkschrift über die Stimmung in der Arbeiterschaft

Galerie öffnen (16)

Otto Bauer wird revolutionärer Propaganda verdächtigt

Galerie öffnen (1)

Otto Bauer und die Presse

Galerie öffnen (10)

Otto Bauer wird vom Kriegsministerium rehabilitiert

Galerie öffnen (1)

Unruhen in Krakau

Galerie öffnen (2)

Berichte über Unruhen im Bereiche der Monarchie

Galerie öffnen (16)

Verteilung der Assistenztruppen innerhalb der Monarchie

Galerie öffnen (3)
X
Tablet drehen