Einleitung

Der Gedanke an militärische Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges ruft heute vornehmlich verschwommene Bilder des Stellungskampfes an der Westfront wach, im Pulverdampf verschwindendes Grabengewirr der „Knochenmühlen“ von Verdun, Flandern oder an der Somme. Darin die dem Verderben preisgegebene Masse ebenso namens- wie hoffnungsloser als Soldaten verkleideter Kreaturen, während am strahlenden Himmel Jagdflieger als gefeierte Helden einander ritterliche Kämpfe liefern. Dazu – falls überhaupt  -  treten im österreichischen kollektiven Gedächtnis vage Erinnerungen an den Hochgebirgskrieg in Tirol, die unmittelbare Verteidigung der Heimat am Karnischen Kamm, vielleicht sogar an den Begriff „Karstkrieg am Isonzo“. 

Dass aber das Erleben der längst ausgestorbenen Kriegsgeneration – als Soldat oder als ebenfalls von gravierenden Veränderungen der Lebensumstände betroffener Zeitzeuge in der Heimat - ein wesentlich Vielfältigeres war, ist aus dem Gedächtnis entschwunden. Österreichisch-ungarische Soldaten verschlug es im Verlauf der Operationen nach Albanien und Syrien, und während 1914 die Matrosen der S.M.S. Elisabeth in Tsingtao 8000 Kilometer von der Heimat trennten, liegt Odessa, das bei Kriegsende einen k.u.k. Stadtkommandanten hatte, kaum weiter von Wien entfernt als Paris. Als die russischen Armeen im November 1914 vor Krakau standen, waren sie damit näher an Wien herangerückt als die Entfernung nach München beträgt und dennoch ist – geprägt durch die jahrzehntelange Teilung Europas – das irrige Gefühl vorherrschend, die meisten Orte des militärischen Geschehens des Ersten Weltkrieges lägen irgendwo in gefühlten „Weiten des Ostens“, am halben Weg nach Sibirien gewissermaßen. 

Wessen man sich auch kaum erinnert, ist der Umstand, dass der statische Stellungskrieg bisweilen Unterbrechungen fand, diesem Grabenkrieg vor allem aber in Polen, Galizien und Wolhynien eine Phase des Bewegungskrieges vorangegangen war. Neben dem Entwicklungsstand der Waffentechnik, der die Verteidigung begünstigte, war es der Umstand, dass die noch wenig entwickelte Transporttechnik den Operationen - abseits der Eisenbahnen – relativ enge Grenzen setzte und damit immer wieder die Fronten erstarren mussten. Der persönliche Einsatz bei Aufrechterhaltung und Betrieb des militärischen oder militarisierten Transportwesens mochte für viele eine ebenso prägende Erinnerung gewesen sein wie der Aufenthalt im Schützengraben oder im granatsicheren Unterstand. 

Tatsächlich standen die militärischen Operationen Österreich-Ungarns zunehmend unter dem Damoklesschwert eines Zusammenbruches des Transportsystems. Während die westlichen Alliierten aus dem Vollen schöpfen konnten, der Kräftezuwachs durch den Kriegseintritt der USA sich bemerkbar zu machen begann und man durch die Entwicklung und Massenerzeugung des Panzers hoffen durfte, 1919 die auch unmittelbar am Schlachtfeld herrschende Mobilitätskrise überwinden zu können, entwickelte sich die Lage der Mittelmächte in die andere Richtung, wobei vor allem Österreich-Ungarn mit seinen infrastrukturellen Schwächen tödlich bedroht war. Die Piaveoffensive vom Juni 1918 setzte das notleidende und im Erhaltungszustand immer mehr herabgekommene österreichisch-ungarische Eisenbahnsystem unter einen Stress, von dem es sich nicht mehr erholen sollte. Zahllose beladene Güterwaggons stauten sich und konnten ihre Bestimmungsorte nicht mehr erreichen. Die Lebensmittelversorgung von Front und Heimat gestaltete sich immer schwieriger, gelang es doch kaum mehr die zur Neige gehenden Kohlebestände den Fabriken, Haushalten oder auch nur für den bahneigenen Bedarf angemessen zuzustellen. Die sozialen und nationalen Bewegungen, die sich nur noch von der Abwendung von einem zunehmend desolaten Österreich-Ungarn eine Erfüllung ihrer Ziele versprachen, waren mächtig angewachsen und durch die in letzter Minute von Kaiser Karl überhastet und unter Druck eingeleiteten Reformen nicht mehr zu bändigen. Tatsächlich traf die letzte Offensive Italiens eine Armee, deren Staat in rascher Auflösung begriffen war und die daher dem eigenen Zerfall nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

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