Ludwig Wittgenstein

Zum ehest möglichen Zeitpunkt, am 7. August 1914 (also einen Tag nach der österreichischen Kriegserklärung an Russland), meldete sich Ludwig Wittgenstein zur freiwilligen Kriegsdienstleistung, um damit, wie er rückschauend bemerken sollte, in einer persönlich ausweglosen Situation den Tod zu suchen. Am 25. Oktober 1914 notierte er – der überaus enge Affinitäten zum akademischen Milieu in Cambridge entwickelt und mit Bertrand Russell, George Edward Moore und John Maynard Keynes die bedeutendsten britischen Intellektuellen zu Freunden gewonnen hatte – in sein verschlüsseltes „geheimes“ Kriegstagebuch: „Fühle daher heute mehr denn je die furchtbare Traurigkeit unserer – der deutschen Rasse – Lage! Denn daß wir gegen England nicht aufkommen können, scheint mir so gut wie gewiß. Die Engländer – die beste Rasse der Welt – können nicht verlieren! Wir aber können verlieren und werden verlieren, wenn nicht in diesem Jahr, so im nächsten! Der Gedanke, daß unsere Rasse geschlagen werden soll, deprimiert mich furchtbar, denn ich bin ganz und gar deutsch.“ 

Unter Verzicht auf seine Rechte als Einjährig-Freiwilliger kam Wittgenstein im niedrigsten Dienstgrad, als einfacher Kanonier, auf dem gekaperten Wachschiff Goplana auf der Weichsel zum Einsatz. Erst im März 1916 wurde seinen wiederholten Ansuchen um Versetzung an die Front stattgegeben. Auf eigene Initiative findet er in der wohl riskantesten aller Positionen, jener eines Artilleriebeobachters, Verwendung. In den Stürmen der Brussilow-Offensive hält er, stärkstem Artillerie-Trommelfeuer ausgesetzt, unbeeindruckt an exponierter Stelle aus. Seine unter dem Kommando von General Pflanzer-Baltin stehende Einheit wird in den Schlachten bei Kolomena (Bukowina) aufgerieben und mehr als drei Viertel ihres kompletten Mannschaftsstandes einbüßen, der verbleibende Rest einen fluchtartigen Rückzug in die Karpaten antreten. Stets aber und in geradezu selbstmörderischer Todesverachtung ist Wittgenstein an vorderster Linie zu finden; er bleibt wie durch ein Wunder gänzlich unversehrt, wird zum Korporal befördert und schließlich, nach fünf Monaten Fronteinsatz, an die Offiziersschule in Olmütz abgestellt. Ende Jänner 1917 findet er sich erneut im Fronteinsatz, der mit nur kurzen Unterbrechungen bis zum Ende des Krieges andauern sollte: Zunächst im Stellungskrieg in der Bukowina, ab März 1918, zum Leutnant avanciert, an der italienischen Front um Asiago, bis er schließlich am 3. November in Trient in Kriegsgefangenschaft gerät.  

Stets hat Wittgenstein bestimmte militärische Konstellationen mit bestimmten philosophischen Problemstellungen zu verknüpfen gewusst. Seine traumatischen Fronterfahrungen verdichten sich schließlich in der metaphysischen Wende der Schlusspassagen jenes verstörend-rätselhaften Meisterwerks, das eine Theorie der Logik mit religiösem Mystizismus zu verbinden suchte und das im Sommer 1918 unter dem Titel Tractatus logico-philosophicus seine endgültige Form erhielt.

Militärlaufbahn Ludwig Wittgenstein

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