Einleitung

Die Multinationalität Österreich-Ungarns und die dem Krieg vorangegangenen Jahrzehnte der Nationalitätenkonflikte boten den Alliierten besonders dann die willkommene Angriffsfläche für nationale Propaganda, wenn sie selbst auf Eigenstaatlichkeit geschlossener ethnischer Bevölkerungsgruppen in ihren Reihen verweisen konnten, die im „Völkerkerker“ Österreich-Ungarn nicht nur zu mühsamen und kompromissbelastetem Zusammenleben mit „Fremdvölkern“ gezwungen waren, sondern augenscheinlich auch dazu, gegen ihre eigenen Interessen zu kämpfen. Dies galt für die Rumänen Siebenbürgens, durch die ethnische Inhomogenität  in etwas komplexerer Form für den Einflussbereich des Panslawismus – wobei allerdings das Selbstverständnis des dreigeteilten Polen den polnischen Nationalismus an die Seite der Mittelmächte führte – und, besonders deutlich, da in Stil und Mythenbildung den folgenden Jahrzehnten vorausgreifend, für den „Sacro Egoismo“ Italiens, der auf ein Jahrhundert einschlägiger propagandistischer Vorarbeiten zurückblicken konnte. Der Mythos Dante Alighieri als Sprach- und damit Nationsschöpfer wurde strapaziert, hatten doch Dante-Denkmäler und nach dem Poeten benannte Gesellschaften und Vereine bereits während des 19. Jahrhunderts italienische Ansprüche auf den Nationalstaat symbolisiert. Die Hinrichtung des nationalistischen Sozialrevolutionärs und Tiroler Reichsratsabgeordneten Cesare Battisti – von Österreich wenig sensibel und triumphal inszeniert – konnte in die Nähe des „Martyriums“ von Guglielmo Oberdan, der 1882 nach einem Attentatsversuch auf Kaiser Franz Joseph hingerichtet worden war, gerückt werden, und der Propagandaflug D’Annunzios nach Wien idealisiert bereits den willensstarken Helden, der in der Ära des Faschismus in angeblicher antiker Wiedergeburt und Tradition – weit über den Nationalstaat hinausgreifend – propagiert wurde.

In Österreich-Ungarn wurden diese auf das Herausbrechen einzelner Nationalitäten abzielende Gefahren zumindest in der zweiten Kriegshälfte erkannt. Man bemühte sich, organisatorisch Abhilfe zu schaffen. Zunächst sollte der Kontakt zwischen Offizier und Mannschaft dahingehend intensiviert werden, dass Ersterem die Überwachung des Letzteren besser gelang: Besonders jüngere Offiziere hätten sich  vermehrt mit den Mannschaften zu befassen, über ihre Familienverhältnisse informiert zu sein, ihre materiellen Sorgen zu teilen, aber auch ihre Korrespondenz zu prüfen und gegebenenfalls Schuldige zu bestrafen, denn: „Schwäche bessert den Mann nicht.“ Im März 1918 wurde unter dem Kommando von Oberstleutnant Egon Freiherr von Waldstätten eine Feindpropagandaabwehrstelle beim Armeeoberkommando eingerichtet, deren Hauptaufgabe es war, „Vaterländischen Unterricht“ zu erteilen bzw. zu organisieren, wobei auf engste Zusammenarbeit mit den militärischen Kommanden und mit den Zivilbehörden, vor allem aber mit dem Kriegspressequartier, Wert gelegt wurde. Auf zweiter Ebene standen die Feindpropagandaabwehrreferenten bei den höheren Kommanden der Armee im Felde, die wiederum eigene Unterrichtsoffiziere zu schulen hatten; diese wiederum, als die eigentlichen Träger des Systems, waren für Propaganda und Gegenpropaganda bei Divisions- und Brigadekommanden vorgesehen. Die unterste Ebene war von Truppenunterrichtsoffizieren (die vielsprachig sein sollten) zu bilden, die vor allem durch Vorträge, aber auch durch „zwanglose, gelegentlich eingestreute Belehrungen“ – dies besonders auf den langen Eisenbahnfahrten und nach Möglichkeit auch bei Urlauben – das Durchhaltevermögen der Soldaten durch die Demaskierung alliierter Propaganda zu stärken hatten. Durch das baldige Kriegsende wurden diese Vorhaben jedoch nur mehr rudimentär  umgesetzt.

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